Die Aussperrung

Dem dig­i­tal­en Zeital­ter entsprechend kommt der „grüne Pass“ per „schnelle Antwort“ (QR) aufs Smart­phone. Nicht die Staats­bürg­er­schaft wird mit ihm nachgewiesen, son­dern der Gesund­heit­szu­s­tand beziehungsweise das, was Virolo­gen gemein­sam mit der Phar­main­dus­trie per Nadel­stich als solchen definiert haben. Weil zurzeit zu wenige Nadeln vorhan­den sind, gewährt die EU-Kom­mis­sion — in ihrer Großzügigkeit — auch für das in die Nase einge­führte Wat­testäbchen einen Passier­schein, freilich nur, wenn die Viren­last knapp unter­halb der Stirn­höh­le einen bes­timmten Wert nicht über­schre­it­et und auch dann nur für wenige, aller­höch­stens 72 Stunden.

Wir erleben ger­ade ein Meis­ter­stück des Zusam­men­spiels von Big Phar­ma, EU-Kom­mis­sion, und Medi­en. Es scheint dieser Troi­ka zu gelin­gen, den seit langer Zeit schw­er­sten Ein­griff in die Per­sön­lichkeit eines jeden und ein­er jeden Einzel­nen als Erle­ichterung und Öff­nungss­chritt zu verkaufen.

Tat­säch­lich ist die von ein­er Imp­fung beziehungsweise Tes­tung abhängig gemachte Zugangskon­trolle zum gesellschaftlichen Leben — und nichts anderes stellt der soge­nan­nte grüne Pass dar — ein Riesen­schritt in Rich­tung ein­er weit­eren Spal­tung der Gesellschaft, vor­läu­fig in — ange­blich — Gesunde und — ange­blich — Kranke beziehungsweise Geimpfte und nicht Geimpfte.

Dieses Sys­tem, ein­mal einge­führt, ist leicht aus­baubar für die Tren­nung in Angepasste und Aufmüp­fige, Mitläufer und Kri­tik­er, „gute“ und „böse“ Staats­bürg­er. Das Virus kann zur Träger­rakete für ein EU-europäis­ches Sozialkred­it­sys­tem à la chi­noise wer­den. Die schein­bar beiläu­fig gle­ichzeit­ige Zen­sur­welle gegenüber maß­nah­menkri­tis­chen Por­tal­en via YouTube, Face­book und Twit­ter gibt einen Vorgeschmack auf eine kün­ftig gewün­schte Gle­ich­för­migkeit. Auch die Heftigkeit, mit der von Brüs­sel abwärts gegen Rus­s­land und ins­beson­dere seine deutschsprachi­gen Medi­en vorge­gan­gen wird, auch deshalb, weil sie die Anti-Coro­na-Maß­nah­men in Deutsch­land kri­tisieren, lässt eine gesellschaft­spoli­tis­che Zukun­ft erah­nen, die heute auf dem gesund­heit­spoli­tis­chen Par­kett geprobt wird.

Was der „grüne Pass“ vom ersten Tag sein­er Ein­führung an jeden­falls sein wird, ist ein per­ma­nen­ter Aufen­thalts- und Bewe­gungsmelder seines Trägers. Jed­er schnelle Kaf­fee wird reg­istri­ert, die kul­turellen und sportlichen Vor­lieben eben­so gespe­ichert wie gren­züber­schre­i­t­ende Bewe­gun­gen, auch solche inner­halb eines Staates, wenn Regierun­gen wie gehabt mit Inzi­denz­zahlen operieren und Regio­nen oder Stadt­teile nur jenen offen ste­hen, die geimpft sind. Der Men­sch verkommt zum alb­traumwan­del­nden QR-Code.

Mit dem grü­nen Impf­pass und seinen Berech­ti­gun­gen schle­icht sich eine neue Autorität zwis­chen Bürg­erIn und Staat ein: der Phar­makonz­ern mit seinen Virologen.

Denn an sie treten EU-Kom­mis­sion und nationale Regierun­gen mit dem Aufle­gen dieses Pass­es die Def­i­n­i­tion­shoheit über Bewe­gungs- und Aufen­thalt­ser­laub­nisse ab. Die Ein­nahme eines Serums, von dem bis zum heuti­gen Tag nie­mand sagen kann, ob der damit Geimpfte nicht ansteck­end bleibt, bes­timmt über Grund- und Frei­heit­srechte. Noch vor zwei Jahren hätte man einen solchen Zus­tand als dystopisch beze­ich­net; wer es heute tut, wird nicht ernst genom­men oder gar verleumdet.

Bevor der Staat die exk­lu­sive Hoheit über seine Bürg­erIn­nen errin­gen kon­nte, waren mul­ti­ple Herrschaftsver­hält­nisse an der Tage­sor­d­nung. Der Feu­dal­herr beanspruchte seine Rechte über den Unter­tan, der Lan­desh­err wiederum andere. Erst Mitte des 19. Jahrhun­derts konzen­tri­erte sich die Ermäch­ti­gung zur Mobil­ität in ein­er Hand. Das Pass­we­sen trug dem Rech­nung; anstelle von passähn­lichen Visa, die von ver­schiede­nen Insti­tu­tio­nen für einzelne Ziel­grup­pen und meist nur für bes­timmte Reisen aus­gegeben wur­den, kam der all­ge­mein gültige staatliche Reisep­a­ss in Gebrauch. Bewe­gungs­frei­heit wurde zu einem all­ge­meinen staats­bürg­er­lichen Grundrecht.

Einem Bürg­er den Reisep­a­ss zu ver­wehren war und ist nur in ganz weni­gen Aus­nah­me­fällen, zum Beispiel bei hoher Steuer­schuld, zuläs­sig. Mit dem Coro­na-Man­age­ment wird nun erst­mals — freilich ver­mit­telt über die Staat­sor­gane und die EU-Kom­mis­sion — ein Pro­dukt beziehungsweise dessen Verabre­ichung zum Dreh- und Angelpunkt, um Gren­zen über­schre­it­en zu dür­fen, ob das nun Staats­gren­zen oder Ein­tritts­gren­zen ander­er Art sind. Dass dahin­ter auch wirtschaftliche Inter­essen ste­hen, sind doch die Impf­dosen von Pfiz­er und anderen ein Riesen­geschäft, stellt für geschulte Kap­i­tal­is­mus-Kri­tik­er keine Über­raschung dar.

Nun kön­nte man ein­wen­den, es gin­ge beim grü­nen Pass und der Coro­na-Poli­tik in Brüs­sel, Berlin und Wien doch um die Volks­ge­sund­heit. Immer­hin han­dle es sich bei COVID-19 um eine Pan­demie, die es einzudäm­men gelte. Abge­se­hen davon, dass es unter­schiedliche Ein­schätzun­gen über die Schwere der Seuche gibt, sollte bei der Kri­tik am grü­nen Pass der damit ein­herge­hende Überwachungsstaat im Mit­telpunkt ste­hen. Die Redlichkeit der deutschen oder der öster­re­ichis­chen Regierung und noch mehr der EU-Kom­mis­sion in Bezug auf ihre gesund­heit­spoli­tis­chen Aus­sagen muss bezweifelt wer­den. Da ist zu allererst die unbe­stre­it­bare Tat­sache, dass es seit Jahrzehn­ten ger­ade das Gesund­heitssys­tem war, welch­es im Auf­trag Brüs­sels über­all in der EU zu drastis­chen Einsparun­gen ange­hal­ten wor­den war.

Die katas­trophale Lage in Ital­ien oder Spanien angesichts der ersten Coro­na-Welle im Früh­jahr 2020 zeugt von dieser ver­heeren­den Poli­tik im Zeital­ter des Neolib­er­al­is­mus. Und die aktuelle Weigerung der EU, zum Beispiel das rus­sis­che „Sput­nik V“ als Impf­stoff anzuerken­nen, zeigt, dass es den Damen und Her­ren in den Führungse­ta­gen mehr um Geopoli­tik als um Gesund­heit geht. Und zulet­zt wäre dann noch die bere­its ange­sproch­ene Unsicher­heit, ob denn die vorhan­de­nen Impf­stoffe über­haupt geeignet sind, Ansteck­un­gen zu ver­mei­den. Vor dem Hin­ter­grund mil­liar­den­schw­er­er Geschäfte von Big Phar­ma muten solche Ein­wände allerd­ings klein­lich an.

Dass es auch ohne per­ma­nente Bewe­gungs- und Aufen­thaltsmelder wie den grü­nen Pass geht, zeigen fast alle Län­der rund um die Europäis­che Union.

In Ser­bi­en zum Beispiel braucht es wed­er für den Restau­rant- noch für den The­aterbe­such eine dig­i­tale Kon­trolle, einzig vor dem The­ater wird bei den Ank­om­menden Fieber gemessen. Anson­sten gibt es Indoor-Abstand­sregeln und Maskenpflicht, und bei größeren Sportevents braucht es Händ­edesin­fek­tion mit staatlich fest­gelegtem Alko­hol­ge­halt von min­destens 70 Prozent.

Rus­s­land ist ver­glichen mit der EU-europäis­chen Coro­na-Poli­tik ein freies Land. Als einzige Ein­schränkung bei kul­turellen Ver­anstal­tun­gen dür­fen nur jew­eils 50 Prozent der Sitz­plätze verkauft werden.

In der Moskauer Metro müssen Masken und Hand­schuhe getra­gen wer­den; wie in anderen Fra­gen auch, hält sich nur die Min­der­heit der Bevölkerung an die Verordnung.

Die Schweiz wiederum zeigt auch im Coro­na-Regime Sou­veränität. Hotels, Restau­rants, Museen, The­ater und Freizeit­parks sind geöffnet. Tests oder Imp­fun­gen sind für all diese Ein­rich­tun­gen nicht erforder­lich, Abstand­sregeln reichen aus.

Im Kampf gegen COVID-19 zeigt sich wieder ein­mal, dass es jen­seits der repres­siv­en Poli­tik in Berlin, Wien und Brüs­sel auch noch ein anderes Europa gibt. Auch jenes des Europarates, der par­la­men­tarischen Ver­samm­lung von 47 Staat­en — alle außer Belarus. In sein­er Res­o­lu­tion 2361 vom Jan­u­ar 2021 fordert er alle Mit­glieder auf, „sicherzustellen, dass die Bürg­er darüber informiert wer­den, dass die Imp­fung NICHT verpflich­t­end ist und dass nie­mand poli­tisch, sozial oder ander­weit­ig unter Druck geset­zt wird, sich impfen zu lassen, wenn er dies nicht möchte“.


Hannes Hof­bauer, Jahrgang 1955, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni­ver­sität Wien. Er arbeit­et als Pub­lizist und Ver­leger. Im Pro­me­dia-Ver­lag sind von ihm unter anderem erschienen „EU-Oster­weiterung. His­torische Basis – ökonomis­che Triebkräfte – soziale Fol­gen“, „Dik­tatur des Kap­i­tals. Sou­veränitätsver­lust im post­demokratis­chen Zeital­ter“ und „Feind­bild Rus­s­land. Geschichte ein­er Dämonisierung“.

Dieser Artikel erschien zuerst im Rubikon am  12. Juni 2021 unter ein­er Cre­ative Commons-Lizenz

2 Kommentare

  1. Publicviewer

    Welchem Kampf denn?
    Es hat nie eine Pan­demie gegeben!

  2. Publicviewer

    Irgend­wie auch nix los hier???

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