Dieser Gastbeitrag erschien zuerst auf der Facebookseite der Roten Corona-Rebellen.
von Rote Corona-Rebellen
Ein großer Teil der deutschen Linken kokettiert mit der Idee eines harten Lockdown (dem Herunterfahren der gesamten Wirtschaft des Landes), da man sich davon die De-facto-Ausrottung von SARS-Cov‑2 erhofft. Dies sei angeblich auch was in China und verschiedenen anderen Ländern zum Erfolg geführt hätte. Eine Gruppe Wissenschaftler um Christian Drosten fordert mit harten Maßnahmen die „Neuinfektionsrate“ (7‑Tage-Inzidenz der positiven PCR-Tests) auf 7 pro 100.000 Einwohner zu drücken.[1] Auch die Bundesregierung, die vor allem von Christian Drosten und Gleichgesinnten beraten wird,[2] denkt offenbar über einen baldigen „Mega-Lockdown“ nach. Unlängst werden sogar Unterschriften für den europaweiten harten Lockdown bzw. Shutdown unter dem Schlagwort „Zero-Covid“ gesammelt,[3] womit das Vermeiden sämtlicher Infektionen gemeint ist. Die „Zero-Covid“-Strategie wird als besonders radikal erachtet, da sie Wirtschaftsinteressen schadet. Die Herrschenden würden diesen Schritt nicht unternehmen, weil sie Folgen für die deutsche Wirtschaft fürchteten. So wird von den „Zero-Covid“-Apologeten auch jede Kritik an „Zero-Covid“ als prokapitalistisch diskreditiert.[4] Im folgendem soll dargestellt werden warum dies ein Trugschluss und das Gegenteil der Fall ist.
Zunächst sollte man feststellen, dass nicht alles was der deutschen Wirtschaft und dem Kapitalismus schadet automatisch fortschrittlich ist. Auch eine Naturkatastrophe oder eine Atomexplosion könnte der Wirtschaft schaden, ist aber kaum erstrebenswert. Letzten Endes schadet sich der Kapitalismus durch seine inneren Widersprüche sogar selbst, was ihn noch lange nicht antikapitalistisch macht. Eine Maßnahme oder Forderung muss immer daran gemessen werden, ob sie zur Überwindung des herrschenden Systems beitragen kann oder nicht. Die Corona-Maßnahmen zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie selbst bei zeitweiligen Verlusten in Teilen der Wirtschaft, die Position der Herrschenden nicht etwa geschwächt, sondern sogar noch gestärkt hat. Wir werden noch sehen, dass dies auch auf den „harten“ Lockdown zutrifft.
Zweitens, sind Lockdowns nicht dazu geeignet das vorgegebene Ziel – die Ausrottung von SARS-Cov‑2 – zu erreichen. Eine Kausalität zwischen Lockdown und Infektionsgeschehen konnte bisher nicht glaubwürdig nachgewiesen werden.[5] Vertreter des harten Lockdown werden nun einwenden, dass dies wahrscheinlich daran läge, dass die untersuchten Lockdowns nicht hart genug waren. So wie in China soll er sein – unter der totalen Ausgangssperre und dem Zunageln von Wohnungstüren ist wohl gar kein Effekt zu erwarten.
Gehen wir einen Moment davon aus, dass der Lockdown in China erfolgreich war und tatsächlich die Infektionszahlen drastisch senken konnte: Er ist in Deutschland in diesem Ausmaß nicht wiederholbar. China hat den harten Lockdown vor allem in der Provinz Hubei (inkl. der Metropole Wuhan) verhängt als das Virus noch angeblich wenig verbreitet war. In Deutschland bzw. Europa müsste man das gesamte Land einsperren. Das geht nicht, da sich dann niemand mehr um die Versorgung der eingesperrten Bevölkerung mit Nahrungsmitteln kümmern würde. In Deutschland müsste ein erheblich größerer Teil des öffentlichen Lebens aufrecht erhalten werden, als dies in Wuhan nötig war.
Gehen wir also ferner davon aus, dass der Mega-Lockdown nichtsdestotrotz entsprechend den Vorstellungen seiner Apologeten umsetzbar und zur drastischen Reduzierung der Neuinfektionsrate führen würde. Am Rande sei hier darauf hingewiesen, dass die Neuinfektionsrate eine unwissenschaftliche und wenig aussagekräftige Kenngröße ist.[6] Weder gibt sie die Anzahl der Infektionen zuverlässig an, noch lassen sich ohne die Anzahl der durchgeführten Tests und die Teststrategie zu berücksichtigen, Schlüsse auf das Infektionsgeschehen ziehen. Insbesondere eine Senkung auf Null ist aufgrund der Falsch-Positiv-Rate der PCR-Tests unmöglich. In China, Australien und Neuseeland, den angeblichen „Zero-Covid“-Vorbildern, konnte das Virus bis heute nicht ausgerottet werden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich SARS-Cov‑2 gar nicht ausrotten lässt.[7] Es kommt auch in den angeblichen Vorbildländern immer wieder zu Ausbrüchen und in der Folge zu verschärften Gegenmaßnahmen.[8][9][10] Die „Zero-Covid“-Strategie führt in der Praxis also zu einem permanenten Lockdown, in dem sich die Menschen in einer „neuen Normalität“ für die vorgeblichen Gesundheitsschutz dauerhaft persönlich, sozial und politisch einschränken und der Regierung nie dagewesene Vollmachten verleihen sollen. Diese Strategie ist ganz und gar nicht links, sondern neoliberal. Es sind Neoliberale, die seit jeher anstreben, „ungesundes“ Verhalten zu sanktionieren und an persönliches Verhalten appellieren. Dass der Hintergrund von „Zero-Covid“ neoliberal ist, dafür spricht auch, dass die Krankenkassen die Maskenpflicht gerne auch nach der Corona-Krise für alle Zeiten beibehalten würden.[11] Man soll sich dabei nicht der Illusion hingeben, dass jegliche dauerhafte Verbesserung des Gesundheitszustands der Bevölkerung – so wünschenswert er für sich genommen auch sein mag – einen positiven Effekt in zukünftigen Pandemien hätte. Die in den marktwirtschaftlich organisierten Kliniken freiwerdenden Stellen zur Grippesaison werden umgehend rationalisiert mit der Folge, dass unser Gesundheitssystem mit der nächsten Pandemie noch schlechter zurecht kommen wird, wodurch sich der Teufelskreis an überlastetem Gesundheitssystem und autoritären Maßnahmen nur noch weiter verschärfen wird. Dabei kann auch der permanente und mutmaßlich erfolgreiche Lockdown auf Dauer womöglich gar keine Menschenleben retten, sondern nur Infektionen verzögern. „Die Infektionskurve abflachen“ um die Kliniken zu entlasten – so hat man uns den Lockdown noch im Frühjahr verkauft.[12] Und entgegen anders lautenden Beteuerungen, ist auch „Zero-Covid“ nichts anderes als eine besonders konsequente Form des „Abflachens der Infektionskurve“. Heute spricht niemand mehr davon – zu offensichtlich ist die Frage warum die Kurve überhaupt so „flach“ sein muss und ob dies etwas mit den Zuständen in unserem Gesundheitssystem zu tun haben könnte.
Jedoch verfolgen auch die Herrschenden ganz offensichtlich nicht das vordergründige Ziel eines permanenten Lockdowns, denn es gibt ja noch den Impfstoff. Der Lockdown soll die Infektionszahlen gering halten bis die gesamte Bevölkerung geimpft wurde und so eine Herdenimmunität hergestellt werden kann. Dies wird wenigstens ein Jahr dauern, könnte sich schlimmstenfalls jedoch auch Jahre hinziehen. Die Impfung der gesamten Bevölkerung mit neuartigen und, entgegen allen Beteuerungen, weniger als üblich getesteten mRNA-Impfstoffen [13] ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt moralisch verwerflich. Wenn überhaupt, sollten jetzt Hochrisikopatienten geimpft werden bis die Phase-3-Studien der Impfstoffe abgeschlossen wurden. Die Impfstrategie der Regierung, die auch von „Zero-Covid“ nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird – man wünscht sich lediglich die Vergesellschaftung der Impfstoffproduktion um ihn noch schneller verteilen zu können – ist daher keineswegs links, sondern stellt ein Einknicken vor den Interessen der Pharmakonzerne dar. Kurzum, sowohl die Regierungsstrategie, als auch die von „Zero-Covid“ implizierte Strategie beabsichtigen eine komplexe gesellschaftliche Krise durch einfache Wundermittel (sei es der Shutdown oder die Impfung) zu kurieren ohne das herrschende System als solches in Frage zu stellen. Die chronischen Mängel unseres Gesundheitssystems sollen mit persönlichen Einschränkungen und Bevormundungen kompensiert werden bis die Bevölkerung mehr oder minder sanft zu unausgereiften Impfungen gezwungen werden kann.
Das ist nicht die Gesellschaft, die wir als Linke anstreben sollten. Zu unserer Vision eines guten Lebens für alle Arbeiter und Angestellten gehört selbstverständlich auch das Recht sich frei zu bewegen und sich zu kleiden wie es beliebt (auch ohne Maske). Wir kämpfen auch dafür, dass man ein Bier oder Wein genießen kann, auch wenn dies ungesund ist. Wer dies wünscht, soll sich sogar ungesund ernähren dürfen oder rauchen. Nicht die Menschen müssen sich an den Bedürfnissen des Gesundheitssystems ausrichten, sondern das Gesundheitssystem muss den Bedürfnissen der Menschen dienen und ihnen ein Leben entsprechend ihrer Vorstellungen ermöglichen. Das selbe gilt natürlich auch für das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Ansatzpunkt für eine linke Antwort auf die Corona-Krise müssen daher zuvorderst die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ärzte und Pfleger sein. Während Covid-19 für weite Kreise der Bevölkerung relativ harmlos ist – Kinder und Jugendliche sind quasi gar nicht betroffen [14] – sind bis zu 86% der Todesopfer Pflegeheimbewohner.[15] In den Pflegeheimen herrscht allerdings nicht erst seit Corona Personalknappheit, was weder einen würdigen Umgang mit den Bewohnern, noch Vorsichtsmaßnahmen ermöglicht. Bis zu 200.000 Kollegen haben der Branche aufgrund der schlechten Löhne und des Arbeitsdrucks den Rücken gekehrt.[16] Die kapitalistische Regierung hat an dieser Stelle nichts getan außer einen symbolischen Corona-Bonus, den nicht mal alle erhalten haben, auszuzahlen und hat im Gegenteil im vergangenem Jahr sogar die Schließung von 20 Krankenhäusern hingenommen.[17] Sie arbeitet hart daran den Beruf des Pflegers durch aufgehobene Personaluntergrenzen, Maximalarbeitszeiten und Impfpflichten noch unpopulärer zu machen. Erst wenn im Gesundheitssektor alle Missstände beseitigt wurden, kann über weitergehende Maßnahmen nachgedacht werden.
Umso tragischer ist, dass sich niemand mehr eine Gesundheitsreform leisten könnte wenn man den harten Lockdown im gesamteuropäischen Maßstab durchsetzen würde. Ein Gesundheitssystem, das nicht dem Profitstreben unterliegt, muss eben auch subventioniert werden und dies erfordert einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Auch eine fortschrittliche oder gar sozialistische Regierung hätte es schwer direkt nach dem wochenlangen Einfrieren des wirtschaftlichen Lebens große soziale Verbesserungen zu finanzieren. Der im „Zero-Covid“-Aufruf geforderte „Ausbau der sozialen Gesundheitsinfrastruktur“ ist daher zwar prinzipiell unterstützenswert, bleibt aber leider nur ein Feigenblatt. Illusorisch ist auch die geforderte Einbindung der Beschäftigten in die Durchsetzung des „Zero-Covid“-Shutdowns wenn gleichzeitig auch die Einstellung aller sozialen Kontakte gefordert wird und der bürgerliche Staat indirekt mit der Durchsetzung des Shutdowns beauftragt wird. Es ist offensichtlich, dass jede soziale Bewegung in einer solchen Dynamik an den Rand gedrängt würde.
Die Gefahr besteht, dass sich die Linke mit Initiativen wie „Zero-Covid“ weiter ins politische Abseits manövriert und sich als Stichwortgeber und Scharfmacher für reaktionäre Verschärfungen hergibt, welche von der Regierung bald selbst verabschiedet werden. Die Entwicklung einer echten linken Opposition zur herrschenden Corona-Politik ist umso nötiger denn je.
[1]: https://www.t‑online.de/nachrichten/deutschland/id_89149358/appell-mit-drosten-und-wieler-hunderte-wissenschaftler-liefern-politik-plan-aus-der-corona-krise.html
[2]: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-politik-die-bestellten-berater-kommentar-a-9edd178d-1843–4522-8bde-f4c8bc0dfa30
[3]: https://zero-covid.org/
[4]: https://www.jungewelt.de/artikel/394414.zero-covid-solidarische-pause-gefordert.html
[5]: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/eci.13484
[6]: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.coronavirus-in-deutschland-virologe-streeck-inzidenzwert-vermittelt-voellig-falsches-bild.7bfadc7f-2e83-475a-8d50-f855473706bb.html
[7]: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2021/01/15/zero-covid-medizinisch-nicht-erreichbar/chapter:1
[8]: https://www.tagesschau.de/ausland/corona-china-147.html
[9]: https://en.wikipedia.org/wiki/Timeline_of_the_COVID-19_pandemic_in_Australia#December_2020
[10]: https://web.archive.org/web/20200812064317/https://www.newshub.co.nz/home/new-zealand/2020/08/coronavirus-live-updates-covid-19-in-community-auckland-going-to-level‑3.html
[11]: https://www.mopo.de/hamburg/deutlich-weniger-infektionskrankheiten-in-2020-wird-die-maske-jetzt-zum-dauerbrenner–37915546
[12]:https://www.merkur.de/welt/coronavirus-studie-ende-prognose-grippe-kontaktbeschraenkung-2022-ausgangssperre-us-studie-forscher-lockdown-zr-13654766.html
[13]:https://www.researchgate.net/publication/345950519_Zur_Entwicklung_genetischer_Impfstoffe_gegen_SARS-CoV-2_-_technologische_Ansatze_sowie_klinische_Risiken_als_Folge_verkurzter_Prufphasen
[14]: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1104173/umfrage/todesfaelle-aufgrund-des-coronavirus-in-deutschland-nach-geschlecht/
[15]: https://www.bz-berlin.de/deutschland/bis-zu-86-prozent-der-corona-toten-in-deutschland-kommen-aus-pflegeheimen
[16]: https://gesundheit-soziales.verdi.de/themen/fachkraeftemangel/++co++7bdb0e82-f6eb-11e8-a739-52540066e5a9
[17]: https://www.lokalkompass.de/dortmund/c‑politik/trotz-corona-weitere-krankenhausschliessungen-erwartet_a1505733
Neueste Kommentare