Gemeinsam gegen die Folgen des Ausnahmezustands
Von Hannes Hofbauer
Wir wollen uns der Klassenzusammensetzung einer Gesellschaft mitten im Corona-Wahn widmen. Oder nennen wir es lieber etwas weniger polit-martialisch der sozialen Struktur, die an vielen Stellen aufbricht und sich neu ordnet. In den unterschiedlichen Betroffenheiten und Reaktionen gegenüber den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung eines Virus wird diese Neuordnung deutlich.
Der Ausnahmezustand, in dem wir seit bald einem Jahr zu leben gezwungen werden, scheidet nicht nur die Geister, sondern weist zugleich auf neue soziale Brüche hin, die eine Zeitenwende mit sich bringt. Im anstehenden kybernetischen Zeitalter erweitert sich das Verhältnis von Kapital und Arbeit um zusätzliche ausbeutbare menschliche Fähigkeiten und Erfahrungen, vor allem aber um die Ausbeutung des menschlichen Körpers als solchem; damit wird die Klassenzusammensetzung des Industriezeitalters, die die Menschen (in den Zentralräumen) seit mehr als 200 Jahren sozial schichtet, historisch. Neue Leitsektoren schaffen neue Ausbeutungsstrukturen.
Der enorme Zulauf zu den sogenannten Hygienedemonstrationen weist auf die tiefe Unzufriedenheit mit dem Corona-Management, ja die Verzweiflung Hunderttausender hin, die man aufgrund fehlender Terminologie Menschen aus der Mitte der Gesellschaft nennt. Dienstleister aller Art, Eigentümer von kleineren und mittleren Gewerbebetrieben, Kulturschaffende, aber auch arbeitslos gewordene Angestellte und ArbeiterInnen haben die Straße als Aktionsraum entdeckt, nachdem ihnen die Regierungen ihre wirtschaftlichen und sozialen Überlebensräume extrem eingeschränkt oder gar abgeschnitten hat.
Die massive staatliche Repression gegen die DemonstrantInnen und die beginnende Zensurwelle gegen Medien, die ihnen wohl gesonnen sind, zeigen, dass der Staat den gefährlichen Charakter dieser Bewegung erkennt; und zwar sowohl als Hindernis bei der Durchsetzung seines (autoritären) Charakters als auch als Gefahr für das noch ausführlicher zu besprechende kybernetische Akkumulationsmodell, dem damit zum Durchbruch verholfen werden soll. Widerstand dagegen soll im Ansatz zerschlagen werden.
Die Befürworter des Ausnahmezustandes argumentieren mit der durch die Verbreitung des Virus gefährdeten Volksgesundheit. Maßnahmen wie Lockdown – hart oder weich –, Grenz‑, Geschäfts- und Schulschließungen etc. seien alternativlos. Die Gefährlichkeit von Sars-CoV‑2 ist unbenommen, eine Leugnung wäre töricht. Doch wo um alles in der Welt nimmt der geschulte Beobachter jahrzehntelanger Staatsagenden in kapitalistischen Gesellschaften die Vermutung, ja – schlimmer noch – die Gewissheit her, dass Regierungen wie jene der CDU/CSU-SPD in Deutschland oder die von ÖVP und Grünen in Österreich für die Gesundheit der Bevölkerung ein ganzes gesellschaftliches System blockieren? Das Gegenteil war geübte Praxis geworden. Durch Maastricht-Kriterien und IWF-Empfehlungen wurden Sozial- und Gesundheitssysteme nicht nur in Italien und Spanien kaputtgespart.
„Kampfbomber für Frieden und nationale Selbstbestimmung“, das redeten uns die NATO-Strategen ein, als das Bündnis 1999 zum Angriff auf Jugoslawien (1999) blies, „Einmarsch für Frauenrechte“ hieß es, als 2001 Afghanistan besetzt wurde. Viele haben dies nicht geglaubt – und andere Interessen dahinter vermutet, Interessen des militärindustriellen Komplexes, geopolitische Interessen …
„Ausgangssperre für die Gesundheit“ heißt die Devise des Jahres 2020. Um sich anzusehen, welche ökonomische und politische Rationalität dahintersteht, welche Existenzen damit zerstört und welche im Gegenteil staatlich massiv gepusht werden, bedarf es einer Einschätzung der Zeitenwende, in der wir uns bereits seit längerem befinden und die durch die Corona-Maßnahmen extrem beschleunigt wird.
Das kybernetische Akkumulationsmodell
Spätestens die Weltwirtschaftskrise 2008 hat – wieder einmal – die strukturelle Schwachstelle der kapitalistischen Produktionsweise offengelegt. Absatzschwierigkeiten überproduzierter Waren drängen Kapital vermehrt in die spekulative Sphäre, wo es sich höhere Profitmargen erwartet. Dortige Blasenbildungen platzen, Kapital wird in hohem Ausmaß vernichtet und sucht Auswege aus dieser, dem System immanenten Verwertungskrise. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Aufbau eines neuen Akkumulationszyklus, der auch neue Leitsektoren braucht. Die alte Industrie wirft keine entsprechende Rendite mehr ab, die Märkte für ihre Produkte sind „verstopft“. Üblicherweise bedarf es für solche neuen Akkumulationszyklen einer gehörigen Markterweiterung. Das ist auch diesmal der Fall, und zwar in einem Ausmaß, das die Bezeichnung Zeitenwende verdient. Denn nicht die territoriale Markterweiterung lässt das Kapital auf einen neuen Höhenflug hoffen, sondern Erweiterungen in bis dato nicht vom Kapital durchdrungene Bereiche. In gewisser Weise war dies schon beim Vormarsch privater Investoren in die Daseinsvorsorge der Fall. Von Pensionsversicherungen bis zum Gesundheitswesen drangen Private in bis dahin über den Generationenvertrag gesellschaftlich und oder staatlich dominierte Sektoren vor.
Auch die Verwertung von menschlicher Erfahrung durch monopolartig agierende Datenkraken wie Google und Facebook ist dem Kapital-immanenten Drang nach Eroberung neuer Märkte geschuldet. Seit den 1990er Jahren bündeln die „Big Five“ auf Plattformen von uns allen „freiwillig“ zur Verfügung gestellte Daten zur verkaufbaren Ware. Der sogenannte Plattformkapitalismus verwandelt Erfahrungswissen, das bei jeder Bestellung, jedem Online-Kauf, jedem Google-Suchvorgang, jeder Videokonferenz anfällt, in Marktwissen. Zusätzlich kann diese kommodifizierte Erfahrung auch als Kontrollwissen missbraucht werden. Die „Corona-Zeit“ treibt über staatlich verordnete Ausgehverbote, Lockdowns, Schul- und Geschäftsschließungen den Sektor der Datensammlung (und nebstbei den Versandhandel) in zuvor ungeahnte Höhen.
Doch mitten in der Corona-Pandemie geht es um viel mehr, um sehr viel mehr. Neue, krisenüberwindende Verwertung soll durch die totale Erschließung des menschlichen Körpers gelingen. Der Körper als gigantisches Investitionsfeld. Getrieben wird das Ganze von neuen Leitsektoren wie Biotechnologie, Pharmaindustrie und Kontrollunternehmen, deren technologische Umsetzung über Nanotechnik, Künstliche Intelligenz, Robotik, additive Fertigungen und kognitive Eingriffe vonstatten gehen. Eine seit längerem drittmittel-finanzierte, also von Konzerngeldern abhängige Wissenschaft bietet den entsprechenden Beistand.
Der menschliche Körper und die menschliche Erfahrung sind drauf und dran, vollständig kommodifiziert, zur Ware gemacht zu werden. Selbststeuerung, Optimierung, genetische Modellierung und künstliche Immunisierung stellen einige der Eckpfeiler dieser kybernetischen Wende dar. Am Ende, so die unter dem Eindruck dieser Art von Markterweiterung stehenden Vordenker eines Transhumanismus, soll die Verschmelzung der menschlichen Physis mit der digitalen Welt stehen. Die Viruserkrankung dient dafür als ideales Einfallstor. Die Bekämpfung von Sars-CoV‑2 ist das perfekte Instrument dafür.
Am Beispiel der künstlichen Immunisierung, die der Inverstor Bill Gates für 7 Milliarden Menschen versprochen hat – passenderweise in der ARD-Hauptsendezeit am Ostersonntag 2020, dem Tag der Auferstehung Jesu Christi –, lässt sich zeigen, dass es dafür keinen Generalplan braucht, solange wirtschaftliche Interessen ihre Chance zum richtigen Zeitpunkt erkennen. Denn um Menschen künstlich zu immunisieren braucht es ein bereits geschwächtes Immunsystem. Diese Schwächung ist – gesellschaftlich gesehen – bereits seit längerem erkennbar. Zwei Jahrhunderte industrielle Massenfertigung hat in vielen Teilen der Welt zu enormer Luft- und Lärmverschmutzung beigetragen, Feinstaub schädigt menschliche Organe seit Generationen. Nicht zufällig wird die Stadt, in der das Corona-Virus zum ersten Mal geortet wurde, Wuhan, „Hochofen Chinas“ genannt. Dazu kommt eine Arbeitswelt, deren Anforderungen an die Lohnabhängigen zunehmend Stress erzeugt, der wiederum das Immunsystem schwächt. Und die These, dass industrielle Massentierhaltung bei gleichzeitigem Zurückdrängen der Wildnis die Überwindung der Tier-Mensch-Schranke für Viren leichter macht und an viel mehr Orten als bisher ermöglicht, ist nicht von der Hand zu weisen. Das vermehrte Aufkommen gefährlicher viraler Infekte ist also eine Folge der Industriegesellschaft.
Der Profitklemme angesichts dieser Probleme mit einem post-industriellen, kybernetischen Wachstumsmodell zu begegnen, wird in Kapitalkreisen längst diskutiert und als Chance begriffen, aus der strukturellen Verwertungskrise herauszukommen. So meinte der Gründer des World Economic Forum, Klaus Schwab, schon im Jahr 2016, dass das „wesentliche Merkmal der vierten industriellen Revolution (die als kybernetische besser beschrieben wäre, d. A.) darin besteht, dass sie nicht die Art verändert, wie wir arbeiten, diesmal sind wir es, die verändert werden.“ Der menschliche Körper und die menschliche Erfahrung als Investitionsfeld eben.
Die neuen Leitsektoren und der Staat gehen dabei Hand in Hand. Eine solche enge Allianz von Kapital und Staat ist nicht neu und historisch – seit den Zeiten des Merkantilismus – kennzeichnend für Zeiten, in denen Krisen im kapitalistischen Sinn überwunden werden sollen. Dazu kommt in unseren Tagen, dass mit der Wende vom Industrie- zum kybernetischen Zeitalter auch ein Wechsel des geopolitischen Hegemonialzyklus einhergeht; die bisherige US-geführte transatlantischen Zentralität wird durch die chinesisch-geführte pazifische abgelöst. Da ist es dann kein Zufall mehr, dass die in China vorgelebte Allianz von Kapital und Staat auch in unseren Breiten als unausgesprochenes Vorbild gilt.
Widerstand
Die autoritäre Corona-Politik hat einen Spalt in die Gesellschaft als Ganzes, aber insbesondere auch in die bürgerliche Klasse geschlagen bzw. hat ihn dort, wo er bereits bestanden hatte, vertieft. Entlang der profitträchtigen Leitsektoren sind neue Möglichkeiten der menschlichen Ausbeutung entstanden. Nicht mehr die Arbeit alleine wird im Dienste des Kapitals vernutzt, sondern eben auch die Erfahrung; und zukünftig soll es vermehrt der menschliche Körper als solcher sein. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Menschen, die dies durch die gesetzten Maßnahmen bereits jetzt betrifft bzw. solche, die sich derlei markterweiternde Eingriffe nicht gefallen lassen wollen, revoltieren. Allein die Verschiebung vom Eigentümer-geführten Handel hin zum Online-Handel, der auf kommodifiziertem Erfahrungswissen aufbaut, bedroht die Existenz von Millionen. Dem steht auf der anderen Seite eine bis dahin in dieser Dimension nicht gekannte Monopolisierung ganzer Sektoren gegenüber, die auch in Milliardenbeträgen messbar ist. So verzeichnete beispielsweise Amazon im 3. Quartal 2020 ein Umsatzplus (im Vergleich mit dem 3. Quartal 2019) von 37%, mithin auf 96 Mrd. US-Dollar; für Facebook war es ein Plus von 22% (21 Mrd. US-Dollar) und für Alphabet, zu dem auch Google gehört, ein Plus von 14% (46 Mrd. US-Dollar).
Für jene, die den menschlichen Körper, insbesondere seine künstliche Immunisierung als Investition im Blick haben, zeigt der Statistikpfeil noch steiler nach oben. So verschaffte der Kurssprung der Aktie der Mainzer Biotech-Konzerns, der gerade dies und jenseits des Atlantiks hunderte von Millionen Impfdosen verkauft, einem seiner Hauptaktionäre, Ugur Sahin, einen Vermögenszuwachs auf 5,1 Mrd. US-Dollar und damit einen Platz in der Rangliste der 500 reichsten Männer der Welt. Obszönen Vermögenszuwächse für einzelne stehen Existenzverluste von Millionen gegenüber. Dass der Widerstand dagegen insbesondere von den Verlierern dieses Akkumulationszyklus kommt, verwundert nicht. Er wird aber auch jene erfassen, die derzeit noch mit helikopterhaften Geldzuteilungen oder Kurzarbeitsmodellen ruhiggestellt werden, sobald die Frage ansteht, wie diese „Hilfe“ bezahlt werden soll.
Während die „Corona“-Demonstrationen unter der Flagge der Freiheit stattfinden, ist von den bevorstehenden sozialen Kämpfen, die sich demnächst gegen Massenentlassungen und Sparpakete richten werden, zu erwarten, dass dort die Fahne der Gerechtigkeit hochgehalten wird. Die Freiheit, über unseren Körper und über unsere Erfahrung selbst bestimmen zu können anstatt dabei zuzusehen, wie sie uns als Ware verkauft werden, ist eine Grundvoraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. Autoritärer Staat und Vermarktung des Menschlichen sind deren Gegenpole. Gerechtigkeit wiederum ist das Um und auf einer solidarischen Gemeinschaft. Wo systemrelevante Berufe wie Altenpflegerinnen und Supermarktkassiererinnen beklatscht statt ausreichend bezahlt werden und wo Pharma-Investoren wie Bill Gates oder Ugur Sahin ihre Vermögen mit staatlichen Jahresbudgets vergleichen können, herrscht eine Diktatur des Kapitals.
Ein gemeinsam getragener Widerstand gegen die Allianz von autoritärem Staat und den neuen kapitalistischen Leitsektoren ist notwendig. Er kann nur gelingen, wenn das Postulat der Freiheit mit dem Postulat der Gerechtigkeit verschränkt wird.
Hannes Hofbauer hat eben (zusammen mit Stefan Kraft) das Buch „Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand“ im Wiener Promedia Verlag herausgebracht.
Dieser Artikel wurde zuerst in der 31. Ausgabe des Demokratischen Widerstands (PDF) veröffentlicht.
„Ich glaube, dass es sich hier um einen Krieg handelt. Um einen Krieg der Reichen gegen die Armen. Viele Menschen hier glauben, dass dieses Virus geschaffen wurde, um die Ärmsten der Armen auszulöschen.” (aus „Demokratischer Widerstand” Nr. 31, S.13)
Das Künstlerpaar aus Peru sagt, was hier im Westen kaum einer hören will. Wenn wir hier schon im Krieg sind, dann in einem gegen das Virus. Die „Kollateralschäden” im Süden (Wie viele Tote hätten´s denn gern? Dürfen´s auch ein paar Millionen mehr sein?) werden in Kauf genommen, weitestgehend auch von den Kritikern der Maßnahmen der westlichen Staaten in selbigen. Freiheit und Democracy: „Hängend überm Wagenbord / Mit dem Arm, fährt vor der Mord. / Wohlig räkelt sich das Vieh / Singt: Sweet dream of liberty.” Meine Freiheit war und ist keine, solange irgendein Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen. Erst eine Gesellschaft, in der jeder Mensch ohne Angst verschieden sein kann, wird das Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft erfüllen können. Hinter Marx und Adorno sollte keiner mehr zurückfallen. Wir werden sehen, wie ernst es die zukünftigen Träger der Fahne der Gerechtigkeit meinen, ich befürchte, sie werden im Sumpf der Moral versinken. Freiheit im Sinne Brechts, Gleichheit im Sinne Marx´ und Brüderlichkeit im Sinne Adornos – das wäre dann wohl Kommunismus. Ansonsten hätten wir da noch die Barbarei, demnächst sogar im Sonderangebot!
Die Parallelen zur künstlich produzierten Klimahysterie und dem daraus folgenden „Green New Deal” sind nicht zu übersehen. Jede Krise schafft profitable Investitionsmöglichkeiten.
Was liegt also näher, als gezielt Krisen zu produzieren?
Durchgesetzt werden diese Agenden mit Hilfe käuflichen Massenmedien, die eine Angstpropaganda rund um die Uhr verbreiten. Die in Hysterie versetzte Bevölkerung zwingt dann die Politik zu handeln, und zwar im Interesse des Großkapitals