Corona-Maßnahmen offenbaren totalitäre Züge

Ein Interview mit Mattias Desmet, Professor für klinische Psychologie (übersetzt von Heiner Biewer)

Das Inter­view mit Pro­fes­sor Desmet erschien am 18. Jan­u­ar 2021 auf der flämis­chen Web­seite dewereldmorgen.be. Es wurde von dem poli­tis­chen Philosophen Patrick Dewals geführt. Der Über­set­zer hat es mit Hil­fe der kosten­losen Ver­sion von deepL.com erstellt. Für kri­tis­che Pas­sagen wurde die englis­che Über­set­zung zu Rate gezogen. 

Desmet sieht die Krise und unseren Umgang mit ihr nicht als isoliertes Ereig­nis, son­dern nimmt immer wieder eine his­torische Per­spek­tive ein: welche Rolle spie­len bere­its vorher beste­hende Äng­ste und Zwänge in der Bevölkerung oder der in der Aufk­lärung wurzel­nde Glaube an eine absolute wis­senschaftliche Objek­tiv­ität? In diesem Sinne also nicht erst mit Blick auf die Fol­gen der Maß­nah­men spricht er von ein­er tiefen sozialen und kul­turellen Krise, in der sich auch total­itäre Ten­den­zen manifestieren. 

Nur wenige Phänomene hat­ten auf glob­aler Ebene so rasch tief­greifende Auswirkun­gen wie der aktuelle Coro­na-Aus­bruch. Das men­schliche Leben wurde in kürzester Zeit völ­lig neu geord­net. Wie es dazu kom­men kon­nte, was die Fol­gen waren und was wir von nun an erwarten kön­nen, fra­gen wir Mat­tias Desmet, Psy­chother­a­peut und Pro­fes­sor für klin­is­che Psy­cholo­gie an der Uni­ver­sität Gent.

Wie ste­ht es fast ein Jahr nach dem Beginn der Coro­na-Krise um die psy­chis­che Gesund­heit der Bevölkerung?

Bis­lang gibt es nur wenig Zahlen­ma­te­r­i­al, das die Entwick­lung möglich­er Indika­toren wie die Ein­nahme von Anti­de­pres­si­va und Anx­i­olyti­ka (angstlösende oder ‑min­dernde Medika­mente, A. d. Ü) oder die Zahl der Selb­st­morde abbildet. Aber es ist beson­ders wichtig, das psy­chis­che Wohlbefind­en in der Coro­na-Krise in seine his­torische Kon­ti­nu­ität zu stellen. Die psy­chis­che Gesund­heit hat sich seit Jahrzehn­ten ver­schlechtert. Seit langem gab es eine stetige Zunahme von Depres­sio­nen und Angstzustän­den sowie von Selb­st­mor­drat­en. Und in den let­zten Jahren gab es einen enor­men Anstieg der Krankmel­dun­gen auf­grund von psy­chis­chen Lei­den und Burnouts. Im Jahr vor dem Coro­na-Aus­bruch kon­nte man spüren, wie diese Malaise expo­nen­tiell zunahm. Dies ver­mit­telte den Ein­druck, dass die Gesellschaft auf einen Kipp­punkt zus­teuerte, an dem eine psy­chol­o­gis­che „Reor­gan­i­sa­tion“ des sozialen Sys­tems erforder­lich war. Das passiert bei Coro­na. Anfänglich kon­nten wir beobacht­en, dass Men­schen mit wenig Wis­sen über das Virus schreck­liche Äng­ste entwick­el­ten, und eine regel­rechte soziale Panikreak­tion man­i­festierte sich. Dies geschieht ins­beson­dere dann, wenn in ein­er Per­son oder Bevölkerung bere­its eine starke, latente Angst lauert.

Die psy­chol­o­gis­che Dimen­sion der aktuellen Coro­na-Krise wird stark unter­schätzt. Eine Krise wirkt wie ein Trau­ma, das dem Men­schen sein his­torisches Bewusst­sein nimmt. Das Trau­ma wird als ein isoliertes Ereig­nis gese­hen, während es in Wirk­lichkeit Teil eines kon­tinuier­lichen Prozess­es ist. So wird leicht überse­hen, dass ein erhe­blich­er Teil der Bevölkerung beim ersten Lock­down auf selt­same Weise erle­ichtert war; sie fühlten sich von einem Unbe­ha­gen befre­it. Ich hörte regelmäßig Leute sagen: „Ja, es ist schw­er, aber zumin­d­est kann ich etwas loslassen“. Weil der All­t­agstrott aufhörte, kehrte Ruhe in die Gesellschaft ein. Der Lock­down hat die Men­schen oft aus einem psy­chol­o­gis­chen Trott befre­it. Das hat eine unbe­wusste Unter­stützungs­ba­sis für den Lock­down geschaf­fen. Wäre die Bevölkerung nicht bere­its durch ihr Leben und vor allem ihre Arbeit erschöpft gewe­sen, hätte es nie eine Unter­stützung für den Lock­down gegeben. Zumin­d­est nicht als Reak­tion auf eine Pan­demie, die im Ver­gle­ich zu den großen his­torischen Pan­demien nicht so schlimm ist. Wir haben etwas Ähn­lich­es bemerkt, als der erste Lock­down kurz vor dem Ende stand. Damals hörte man regelmäßig Aus­sagen wie: „Wir wer­den nicht wieder so anfan­gen wie früher, wieder im Stau ste­hen und so weit­er“. Die Men­schen woll­ten nicht zum Vor-Coro­na-Nor­malzu­s­tand zurück­kehren. Wenn wir die Unzufrieden­heit der Bevölkerung mit ihrer Exis­tenz nicht berück­sichti­gen, wer­den wir diese Krise nicht ver­ste­hen und sie nicht lösen kön­nen. Übri­gens habe ich inzwis­chen den Ein­druck, dass die neue Nor­mal­ität wieder zu einem Trott gewor­den ist, und es würde mich nicht wun­dern, wenn sich die psy­chis­che Gesund­heit in naher Zukun­ft wirk­lich ver­schlechtert. Vielle­icht vor allem, wenn sich her­ausstellt, dass der Impf­stoff nicht die magis­che Lösung bietet, die man sich von ihm verspricht.

In den Medi­en find­en sich regelmäßig Verzwei­flungss­chreie von Jugendlichen. Für wie ser­iös hal­ten Sie sie?

Nun, Sie müssen wis­sen, dass die Lock­downs und die Maß­nah­men für Jugendliche eine völ­lig andere Bedeu­tung haben als für Erwach­sene. Anders als bei einem Erwach­se­nen, bei dem ein Jahr blitzschnell vor­bei ist, bedeutet ein Jahr für einen jun­gen Men­schen einen Zeitraum, in dem er eine enorme seel­is­che Entwick­lung durch­läuft, das geschieht vor allem im Dia­log mit Gle­ichal­tri­gen. Die jun­gen Men­schen von heute durch­leben diese Zeit isoliert, und es kann gut sein, dass dies für die Mehrheit von ihnen katas­trophale Fol­gen haben wird. Aber bei jun­gen Men­schen ist alles kom­plex. Zum Beispiel fühlen sich diejeni­gen, die zuvor unter sozialer Angst oder sozialer Iso­la­tion lit­ten, jet­zt vielle­icht bess­er, weil sie nicht mehr die Außen­seit­er sind. Aber ins­ge­samt ist die Jugend zweifel­los die Gruppe, die am stärk­sten von dieser Coro­na-Krise betrof­fen ist.

Was ist mit der Angst bei Erwachsenen?

Bei Erwach­se­nen gibt es auch Angst, aber das Objekt der Angst, das, wovor man Angst hat, unter­schei­det sich. Manche Men­schen haben vor allem Angst vor dem Virus selb­st. In mein­er Straße gibt es Men­schen, die sich kaum noch aus dem Haus trauen. Andere haben Angst vor den wirtschaftlichen Fol­gen. Andere haben Angst vor den gesellschaftlichen Verän­derun­gen, die die Maß­nah­men mit sich brin­gen. Sie fürcht­en den Auf­stieg ein­er total­itären Gesellschaft. So wie ich (lacht).

Sind die Mor­tal­itäts- und Mor­bid­ität­srat­en im Zusam­men­hang mit der Ver­bre­itung des Coro­n­avirus so hoch, dass Sie die inten­siv­en Angstreak­tio­nen verstehen?

Nun, Krankheit und Lei­den sind immer schlecht, aber das Aus­maß des Lei­dens ste­ht nicht im Ver­hält­nis zur Reak­tion, nein. Beru­flich bin ich an zwei Forschung­spro­jek­ten beteiligt, die sich mit Coro­na beschäfti­gen. Infolgedessen habe ich mich recht inten­siv mit den Dat­en beschäftigt. Es ist klar, dass die Sterblichkeit­srate für das Virus recht ger­ing ist. Die Zahlen, die die Medi­en zeigen, beruhen auf ein­er, sagen wir mal, enthu­si­astis­chen Zäh­lung. So gut wie jed­er ältere Men­sch, der starb, wurde unab­hängig davon, welche zugrun­deliegen­den medi­zinis­chen Prob­leme er bere­its hat­te, in die Liste der Coro­na-Todes­fälle aufgenom­men. Per­sön­lich ist mir nur eine Per­son bekan­nt, die als Coro­na-Todes­fall reg­istri­ert wurde. Er war Kreb­spa­tient im End­sta­di­um, der also mit und nicht an Coro­na ver­starb. Das Hinzufü­gen dieser Art von Todes­fällen zu den Coro­na-Todes­fällen erhöht die Zahlen und steigert die Angst in der Bevölkerung.

Während der zweit­en Welle wurde ich von mehreren Notärzten angerufen. Einige sagten mir, dass ihre Abteilung defin­i­tiv nicht mit Coro­na-Patien­ten über­laufen sei. Andere erzählten mir, dass mehr als die Hälfte der Patien­ten auf der Inten­sivs­ta­tion keine Coro­na hat­ten oder so milde Symp­tome zeigten, dass sie, wenn sie Grippesymp­tome von ver­gle­ich­barem Schw­ere­grad gehabt hät­ten, zur Gene­sung nach Hause geschickt wor­den wären. Doch angesichts der herrschen­den Panik erwies sich dies als unmöglich. Lei­der woll­ten diese Ärzte anonym bleiben und ihre Botschaft schaffte es nicht in die Medi­en und die öffentliche Mei­n­ung. Einige von ihnen haben ihre Geschichte später auch einem Jour­nal­is­ten des VRT erzählt, aber lei­der ist damit bis jet­zt nichts passiert. Und ich sollte sicher­lich erwäh­nen, dass es andere Ärzte gab, die eine völ­lig andere Mei­n­ung hat­ten und sich sehr wohl mit der vorherrschen­den Geschichte iden­ti­fizieren konnten.

Das Ver­schwinden der Fähigkeit, den Kon­sens und die Coro­na-Maß­nah­men zu kri­tisieren, ist auf­fal­l­end, sog­ar inner­halb der akademis­chen Welt, wo wis­senschaftliche Ide­ale kri­tis­ches Denken erfordern. Wie erk­lären Sie sich das?

Täuschen Sie sich nicht: An der Uni­ver­sität und in der medi­zinis­chen Welt gibt es viele Men­schen, die staunend sehen, was da vor sich geht. Ich habe ziem­lich viele Fre­unde in der medi­zinis­chen Gemein­schaft, die nicht ver­ste­hen, was hier vor sich geht. Sie sagen: „Macht die Augen auf, seht ihr nicht, dass dieser Virus nicht die Pest ist?“. Aber allzu oft machen sie nicht den Schritt, dies öffentlich zu sagen. Außer­dem gibt es für jede kri­tis­che Stimme dreißig andere, die mit der Geschichte ein­ver­standen sind. Auch wenn dies bedeutet, dass sie ihre kri­tis­che wis­senschaftliche Hal­tung in dieser Angele­gen­heit aufgeben müssen.

Ist das ein Zeichen von Feigheit?

Für einige ist es das, bis zu einem gewis­sen Grad. In der Tat kann man über­all drei Grup­pen unter­schei­den. Die erste Gruppe glaubt die Geschichte nicht und sagt das auch öffentlich. Die zweite Gruppe glaubt auch nicht an die Geschichte, macht aber trotz­dem öffentlich mit, weil sie sich angesichts des sozialen Drucks nicht anders traut. Die let­zte Gruppe glaubt wirk­lich das vorherrschende Nar­ra­tiv und hat eine echte Angst vor dem Virus. Die let­zt­ge­nan­nte Gruppe ist sicher­lich auch an Uni­ver­sitäten zu finden.

Es ist auf­fal­l­end, dass wis­senschaftliche Unter­suchun­gen, auch im Falle dieser Coro­n­akrise, sehr unter­schiedliche Ergeb­nisse zu Tage fördern. Auf der Grund­lage dieser Ergeb­nisse kön­nen Wis­senschaftler fast diame­tral ent­ge­genge­set­zte Fak­ten als einzige Wahrheit vertei­di­gen. Wie ist das möglich?

Die Forschung zur Coro­na ist in der Tat voller Wider­sprüche. Zum Beispiel über die Wirk­samkeit von Mund­schutz oder Hydrox­y­chloro­quin, den Erfolg des schwedis­chen Ansatzes oder die Wirk­samkeit des PCR-Tests. Noch bemerkenswert­er ist, dass die Stu­di­en eine Menge unwahrschein­lich­er Fehler enthal­ten, die man von einem nor­mal denk­enden Men­schen nicht erwarten würde. Um zum Beispiel die Entwick­lung der Infek­tion­szahlen darzustellen, spricht man immer noch von der absoluten Anzahl der fest­gestell­ten Infek­tio­nen. Wobei ein Schulkind weiß, dass dies nichts bedeutet, solange die Zahl der fest­gestell­ten Infek­tio­nen nicht ins Ver­hält­nis zur Zahl der durchge­führten Tests geset­zt wird. Mit anderen Worten: Je mehr Tests Sie machen, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass Ihre Infek­tion­srate steigt. Ist das so schwierig? Außer­dem muss man bedenken, dass der PCR-Test bei zu hohen CT-Werten eine große Anzahl von falsch-pos­i­tiv­en Ergeb­nis­sen liefern kann. Zusam­men sorgt dies dafür, dass die Unrichtigkeit der täglich von den Medi­en ver­bre­it­eten Zahlen so groß ist, dass manche Men­schen ver­ständlicher­weise, aber zu Unrecht, eine Ver­schwörung darin sehen.

Wieder ein­mal ist es bess­er, dieses Phänomen in eine his­torische Per­spek­tive zu stellen. Denn die prob­lema­tis­che Qual­ität der wis­senschaftlichen Forschung ist ein viel älteres Prob­lem. Im Jahr 2005 brach in den Wis­senschaften die soge­nan­nte Rep­lika­tion­skrise aus (A. d. Ü: die Ergeb­nisse viel­er Arbeit­en kon­nten bei ihrer Wieder­hol­ung durch andere Forsch­er nicht bestätigt wer­den, ein stark­er Hin­weis auf Män­gel und Fehler in der Orig­i­nalar­beit). Ver­schiedene Unter­suchungsauss­chüsse, die ein­gerichtet wur­den, um eine Rei­he von Fällen von wis­senschaftlichem Betrug zu unter­suchen, kamen zu dem Schluss, dass die wis­senschaftliche Forschung mit Fehlern behaftet ist. Oft sind die getrof­fe­nen Schlussfol­gerun­gen daher von sehr zweifel­haftem Wert. Im Zuge der Krise erschienen in mehreren Zeitschriften Artikel mit Titeln, die der Fan­tasie wenig Raum lassen. John Ion­nadis, Pro­fes­sor für medi­zinis­che Sta­tis­tik in Stan­ford, veröf­fentlichte 2005 Why most pub­lished research find­ing are false („Warum sind die meis­ten veröf­fentlicht­en Forschungsergeb­nisse falsch?“). Im Jahr 2016 veröf­fentlichte eine andere Forscher­gruppe in Nature zum gle­ichen The­ma Repro­ducibil­i­ty: a tragedy of errors („Repro­duzier­barkeit: eine Tragödie von Fehlern“). Dies sind nur einige Beispiele aus der sehr umfan­gre­ichen Lit­er­atur, die diese The­men beschreibt. Ich selb­st bin mir der wack­e­li­gen wis­senschaftlichen Grund­lage viel­er Forschungsergeb­nisse dur­chaus bewusst. Neben meinem Mas­ter in klin­is­ch­er Psy­cholo­gie habe ich einen Mas­ter in Sta­tis­tik gemacht und meine Dok­torar­beit han­delte von Messprob­le­men inner­halb der Psychologie.

Wie wurde die Kri­tik von der wis­senschaftlichen Gemein­schaft aufgenommen?

Das löste zunächst eine Schock­welle aus, woraufhin man ver­suchte, die Krise zu lösen, indem man mehr Trans­parenz und Objek­tiv­ität forderte. Aber ich glaube nicht, dass dies eine Lösung ist. Die Ursache des Prob­lems ist vielmehr in ein­er spez­i­fis­chen Art von Wis­senschaft zu suchen, die während der Aufk­lärung ent­standen ist. Diese Wis­senschaft geht von einem zu absoluten Glauben an Objek­tiv­ität aus. Nach Ansicht der Adepten dieser Vision ist die Welt nahezu abso­lut objek­tivier­bar, mess­bar, vorherse­hbar und kon­trol­lier­bar. Aber die Wis­senschaft selb­st hat gezeigt, dass diese Idee unhalt­bar ist. Der Objek­tiv­ität sind Gren­zen geset­zt, und je nach Wis­senschafts­ge­bi­et stößt man schneller an diese Gren­zen. Physik und Chemie eignen sich noch recht gut zum Messen. Aber in anderen Forschungs­bere­ichen wie Wirtschaft, Medi­zin oder Psy­cholo­gie ist dies viel weniger möglich. Die Sub­jek­tiv­ität des Forsch­ers hat einen direk­ten Ein­fluss auf die Beobach­tun­gen. Und genau dieser sub­jek­tive Kern ist es, den man aus der wis­senschaftlichen Debat­te ver­ban­nen wollte. Para­dox­er­weise – aber vielle­icht auch logisch – blühte dieser Kern sozusagen in seinem Exil auf, was zum kom­plet­ten Gegen­teil des erhofften Ergeb­niss­es führte. Näm­lich einen radikalen Man­gel an Objek­tiv­ität und einen Wild­wuchs an Sub­jek­tiv­ität. Dieses Prob­lem blieb auch nach der Rep­lika­tion­skrise beste­hen, und es gelang nicht, eine Lösung zu find­en. Das Ergeb­nis ist, dass wir jet­zt, 15 Jahre später, in der Coro­na-Krise, mit genau den gle­ichen Prob­le­men kon­fron­tiert sind.

Gehen die heuti­gen Poli­tik­er bei ihren Coro­na-Maß­nah­men von falschen wis­senschaftlichen Annah­men aus? 

Ich denke schon. Auch hier sehen wir, wie eine Art naiv­er Glaube an Objek­tiv­ität in sein Gegen­teil umschlägt: radikale Unsach­lichkeit mit massen­haften Fehlern und Schlam­pereien. Außer­dem gibt es eine unheil­volle Verbindung zwis­chen dem Auf­stieg dieser Art von abso­lutis­tis­ch­er Wis­senschaft und dem Prozess der „Formierung der Massen“ (zum Begriff vgl. etwa hier oder hier, A. d. Ü.) und der Total­isierung der Gesellschaft. Die deutsch-amerikanis­che poli­tis­che Denkerin Han­nah Arendt beschreibt in ihrem Buch Ele­mente und Ursprünge totaler Herrschaft auf verblüf­fende Weise, wie dieser Prozess unter anderem in Nazi-Deutsch­land ablief. In Enste­hung begrif­f­ene total­itäre Regime greifen typ­is­cher­weise auf einen „wis­senschaftlichen“ Diskurs zurück. Sie zeigen eine große Vor­liebe für Zahlen und Sta­tis­tiken, die schnell in reine Pro­pa­gan­da umschla­gen, gekennze­ich­net durch eine radikale „Ver­ach­tung der Fak­ten“. Der Nation­al­sozial­is­mus zum Beispiel grün­dete seine Ide­olo­gie auf die Über­legen­heit der arischen Rasse. Eine ganze Rei­he soge­nan­nter wis­senschaftlich­er Zahlen unter­stützte ihre The­o­rie. Heute wis­sen wir, dass diese The­o­rie keinen wis­senschaftlichen Wert hat­te, aber Wis­senschaftler vertei­digten die Ansicht­en des Regimes in den Medi­en. Han­nah Arendt beschreibt, wie diese Wis­senschaftler zweifel­hafte wis­senschaftlichen Ver­di­en­ste beansprucht­en, und sie benutzt das Wort „Schar­la­tane“, um dies zu beto­nen. Sie beschreibt auch, wie der Auf­stieg dieser Art von Wis­senschaft und ihrer indus­triellen Anwen­dun­gen von einem typ­is­chen sozialen Wan­del begleit­et wurde. Klassen ver­schwan­den und nor­male soziale Bindun­gen zer­fie­len, ver­bun­den mit viel unbes­timmter Angst und Unruhe, einem Man­gel an Sinn und Frus­tra­tion. Unter solchen Umstän­den bildet sich eine Masse, eine Gruppe mit ganz bes­timmten psy­chol­o­gis­chen Eigen­schaften. Wenn sich eine Masse bildet, wird im Prinzip die ganze Angst, die die Gesellschaft durch­dringt, mit einem einzi­gen „Objekt“ ver­bun­den – den Juden zum Beispiel –, so dass die Masse eine Art ener­getis­chen Kampf mit diesem Objekt führt. Aus diesem Prozess der sozialen Kon­di­tion­ierung der Massen ergibt sich dann eine völ­lig neue poli­tis­che und gesellschaftliche Organ­i­sa­tion: der total­itäre Staat.

Heute beobacht­en wir ähn­liche Phänomene. Es gibt ein enormes psy­chis­ches Lei­den, einen Man­gel an Sinn und fehlende soziale Bindun­gen in der Gesellschaft. Dann kommt eine Geschichte daher, die auf ein Angsto­b­jekt, den Virus, hin­weist, woraufhin die Bevölkerung ihre Angst und ihr Unbe­ha­gen mas­siv mit diesem Angsto­b­jekt verknüpft. In der Zwis­chen­zeit ertönt in allen Medi­en ständig der Aufruf, sich zum Kampf gegen den mörderischen Feind zusam­men­zuschließen. Die Wis­senschaftler, die uns diese Geschichte erzählen, erhal­ten im Gegen­zug eine enorme soziale Macht. Ihre psy­chol­o­gis­che Macht ist so groß, dass auf ihre Anre­gung hin die gesamte Gesellschaft schla­gar­tig auf eine ganze Rei­he sozialer Bräuche verzichtet und sich auf eine Weise neu organ­isiert, die Anfang 2020 nie­mand für möglich gehal­ten hätte.

Was denken Sie, wird nun geschehen?

Die aktuelle Coro­na-Poli­tik gibt der Gesellschaft vorüberge­hend ein Stück soziale Ver­bun­den­heit (Sol­i­dar­ität) und Sinn zurück. Mit vere­in­ten Kräften gegen das Virus anzukämpfen, erzeugt einen Rausch, der eine enorme Veren­gung der Sicht bewirkt, wodurch andere The­men, wie z. B. die Aufmerk­samkeit für Kol­lat­er­alschä­den, in den Hin­ter­grund treten. Doch die Vere­in­ten Natio­nen und ver­schiedene Wis­senschaftler warn­ten von Anfang an, dass die Kol­lat­er­alschä­den weltweit viel mehr Todes­fälle verur­sachen kön­nten, zum Beispiel durch Hunger und verzögerte Behand­lung, als das Virus.

Die soziale Kon­di­tion­ierung hat noch einen anderen eigen­tüm­lichen Effekt: Sie bewirkt, dass der Einzelne alle ego­is­tis­chen und indi­vidu­ellen Motive bei­seite schiebt, oder bess­er gesagt, sie psy­chol­o­gisch ver­nach­läs­sigt. Auf diese Weise kann man eine Regierung tolerieren, die einem alle per­sön­lichen Annehm­lichkeit­en nimmt. Um nur ein Beispiel zu nen­nen: Gas­tronomiebe­triebe, in denen Men­schen ihr ganzes Leben lang gear­beit­et haben, wer­den ohne großen Protest geschlossen. Oder auch: Der Bevölkerung wer­den Auf­führun­gen, Feste und andere kul­turelle Vergnü­gun­gen voren­thal­ten. Total­itäre Führer spüren intu­itiv, dass die Quälerei der Bevölkerung per­verser­weise die soziale Kon­di­tion­ierung ver­stärkt. Ich kann es hier nicht kom­plett erk­lären, aber der Prozess der sozialen Kon­di­tion­ierung der Massen ist von Natur aus selb­stzer­störerisch. Eine Bevölkerung, die von diesem Prozess ergrif­f­en wurde, ist zu enormer Grausamkeit gegenüber anderen, aber auch gegenüber sich selb­st fähig. Sie zögert nicht, sich zu opfern. Dies erk­lärt, warum ein total­itär­er Staat – im Gegen­satz zu Dik­taturen – nicht weit­er existieren kann. Es frisst sich sozusagen selb­st auf. Aber der Prozess kostet in der Regel eine enorme Menge an Menschenleben.

Erken­nen Sie total­itäre Züge in der aktuellen Krise und der Reak­tion der Regierung darauf?

Defin­i­tiv. Wenn man die Virengeschichte ein­mal weglässt, ent­deckt man einen total­itären Prozess par excel­lence. Ein Beispiel: Ein vor­to­tal­itär­er Staat durchtren­nt nach Arendt alle sozialen Bindun­gen der Bevölkerung. Dik­taturen tun dies auf der poli­tis­chen Ebene – sie sor­gen dafür, dass sich die Oppo­si­tion nicht zusam­men­schließen kann –, aber total­itäre Staat­en tun dies auch in der Bevölkerung, im pri­vat­en Bere­ich. Denken Sie an die Kinder, die in den total­itären Staat­en des zwanzig­sten Jahrhun­derts – oft unfrei­willig – ihre Eltern an die Regierung ver­ri­eten. Der Total­i­taris­mus ist so stark auf totale Kon­trolle aus­gerichtet, dass er automa­tisch Mis­strauen in der Bevölkerung erzeugt, was die Men­schen dazu ver­an­lasst, sich gegen­seit­ig auszus­pi­onieren und zu ver­rat­en. Die Men­schen trauen sich nicht mehr, frei mit jeman­dem zu sprechen und kön­nen sich auf­grund der Ein­schränkun­gen weniger organ­isieren. Es ist nicht schw­er, solche Phänomene im heuti­gen Staat zu erken­nen. Neben vie­len anderen Merk­malen des aufk­om­menden Totalitarismus.

Was will dieser total­itäre Staat let­ztlich erreichen? 

In der ersten Instanz will er eigentlich gar nichts. Seine Entste­hung ist ein automa­tis­ch­er Prozess, der zum einen mit einem großen Unbe­ha­gen in der Bevölkerung und zum anderen mit einem naiv­en wis­senschaftlichen Denken zusam­men­hängt, das ein totales Wis­sen für möglich hält. Heute gibt es Leute, die meinen, die Gesellschaft solle sich nicht mehr auf poli­tis­che Geschicht­en, son­dern auf wis­senschaftliche Zahlen stützen und damit den roten Tep­pich für eine Tech­nokratie aus­rollen. Ihr Ide­al­bild ist das, was der nieder­ländis­che Philosoph Ad Ver­brugge „inten­sive Men­schen­hal­tung“ nen­nt. Inner­halb ein­er biol­o­gisch-reduk­tion­is­tis­chen, virol­o­gis­chen Ide­olo­gie ist eine ständi­ge bio­metrische Überwachung angezeigt und der Men­sch wird ständi­gen medi­zinis­chen Präven­tiv­maß­nah­men, wie z. B. Impfkam­pag­nen, unter­wor­fen. All dies wird getan, um seine Gesund­heit zu opti­mieren. Und eine ganze Rei­he von medi­zinisch-hygien­is­chen Maß­nah­men muss umge­set­zt wer­den; kein Hän­de­schüt­teln, Tra­gen von Mund­schutz, ständi­ge Händ­edesin­fek­tion, Imp­fun­gen usw. Für die Anhänger dieser Ide­olo­gie kann man gar nicht weit genug gehen, um das Ide­al der höch­st­möglichen „Gesund­heit“ zu erre­ichen. Es gab sog­ar einen Zeitungsar­tikel, in dem zu lesen war, dass man der Bevölkerung noch mehr Angst machen müsse. Nur dann wür­den sie sich an die von den Virolo­gen vorgeschla­ge­nen Maß­nah­men hal­ten. Aus ihrer Sicht zielt das Schüren von Angst darauf ab, Gutes zu bewirken. Doch bei all diesen drakonis­chen Maß­nah­men ver­gisst die Poli­tik, dass der Men­sch – und damit auch sein Kör­p­er – ohne aus­re­ichende Frei­heit, Pri­vat­sphäre und das Recht auf Selb­st­bes­tim­mung nicht gesund sein kann. Werte, die diese tech­nokratis­che, total­itäre Vision völ­lig ignori­ert. Obwohl die Regierung eine enorme Verbesserung der Gesund­heit der Gesellschaft anstrebt, wird sie durch ihr Han­deln die Gesund­heit der Gesellschaft nur ruinieren. Das ist übri­gens ein Grund­merk­mal total­itären Denkens nach Han­nah Arendt: Es endet im genauen Gegen­teil dessen, was es ursprünglich bezweckte.

Heute sorgt der Virus für die notwendi­ge Angst, auf die sich der Total­i­taris­mus stützt. Wird die Suche nach einem Impf­stoff und die anschließende Impfkam­pagne diese Angst nicht lin­dern und damit dieses total­itäre Auf­flack­ern beenden?

Ein Impf­stoff wird keinen Weg aus dieser Sack­gasse bieten. Diese Krise ist keine Gesund­heit­skrise, sie ist eine tief­greifende soziale und sog­ar kul­turelle Krise. Außer­dem hat die Regierung bere­its angedeutet, dass die Maß­nah­men nach der Imp­fung nicht ein­fach ver­schwinden wer­den. In einem Artikel hieß es sog­ar, es sei auf­fäl­lig, dass Län­der, die in der Impfkam­pagne schon weit fort­geschrit­ten sind – wie Israel und Großbri­tan­nien –, selt­samer­weise die Maß­nah­men noch stark ver­schär­fen.[1] Ich sehe mehr von diesem Szenario voraus: Trotz aller vielver­sprechen­den Stu­di­en wird der Impf­stoff keine Lösung brin­gen. Und auf­grund der Blind­heit, die soziale Kon­di­tion­ierung und Total­i­taris­mus mit sich brin­gen, wird die Schuld den­jeni­gen in die Schuhe geschoben, die nicht mit­machen und/oder sich weigern, sich impfen zu lassen. Sie wer­den als Sün­den­böcke benutzt. Es wird ver­sucht wer­den, sie zum Schweigen zu brin­gen. Und wenn das gelingt, kommt der gefürchtete Kipp­punkt im Prozess des Total­i­taris­mus: Erst wenn er die Oppo­si­tion voll­ständig aus­geschal­tet hat, zeigt der total­itäre Staat sein aggres­sivstes Gesicht. Er wird dann – um es mit Han­nah Arendt zu sagen – zu einem Mon­ster, das seine eige­nen Kinder frisst. Mit anderen Worten: Das Schlimm­ste kön­nte noch bevorstehen.

Worüber denken Sie in diesen Tagen nach?

Total­itäre Sys­teme haben im All­ge­meinen alle die gle­iche Ten­denz zur method­is­chen Isolierung. Dass, um die Gesund­heit der Bevölkerung zu gewährleis­ten, zum Beispiel der „kranke“ Teil der Bevölkerung noch weit­er isoliert und zum Beispiel in Lager ges­per­rt wird. Diese Idee wurde während der Coro­na-Krise tat­säch­lich mehrfach vorge­bracht, aber wegen zu großer gesellschaftlich­er Wider­stände als „nicht durch­führbar“ abge­tan. Aber wird dieser Wider­stand anhal­ten, wenn die Angst expo­nen­tiell zunimmt? Sie kön­nen mich verdächti­gen, ein Phan­tast zu sein, aber wer hätte gedacht, dass unsere Gesellschaft Anfang der 2020er Jahre so ausse­hen würde wie heute? Der Prozess des Total­i­taris­mus basiert auf der hyp­no­tis­chen Wirkung ein­er Geschichte, und sie kann nur durch­brochen wer­den, wenn eine andere Geschichte gehört wird. Deshalb hoffe ich, dass sich mehr Men­schen Fra­gen über die tat­säch­liche Gefahr des Virus und die Notwendigkeit der aktuellen Bekämp­fungs­maß­nah­men stellen wer­den. Und sich trauen, öffentlich darüber zu sprechen.

Warum tritt diese Angstreak­tion bei der Kli­makrise nicht auf?

Die Kli­makrise ist vielle­icht nicht als Angsto­b­jekt geeignet. Sie ist vielle­icht zu abstrakt und wir kön­nen sie nicht mit dem sofor­ti­gen Tod eines geliebten Men­schen oder von uns selb­st in Verbindung brin­gen. Und als Angsto­b­jekt hat sie auch weniger direk­ten Bezug zu unserem medi­zinisch-biol­o­gis­chen Men­schen­bild. Daher ist ein Virus ein priv­i­legiertes Objekt der Angst.

Was sagt uns die aktuelle Krise über unser Ver­hält­nis zum Tod?

Die vorherrschende Wis­senschaft nimmt die Welt als ein mech­a­nis­tis­ches Zusam­men­spiel von Atom­en und anderen Ele­men­tarteilchen wahr, die zufäl­lig zusam­men­stoßen und alle möglichen Phänomene her­vor­brin­gen, ein­schließlich des Men­schen. Diese Wis­senschaft macht uns verzweifelt und macht­los gegenüber dem Tod. Gle­ichzeit­ig wird das Leben als eine völ­lig bedeu­tungslose und mech­a­nis­tis­che Gegeben­heit erlebt, aber wir klam­mern uns daran, als ob es alles ist, was wir haben, und wir wollen jedes Risiko (Ver­hal­ten), das den Ver­lust dieses Lebens riskieren kön­nte, auss­chal­ten. Und das ist unmöglich. Para­dox­er­weise schafft der Ver­such, Risiken radikal zu ver­mei­den, zum Beispiel durch Coro­na-Maß­nah­men, das größte Risiko von allen. Schauen Sie sich nur die kolos­salen Kol­lat­er­alschä­den an, die dadurch verur­sacht werden.

Sie nehmen die aktuelle gesellschaftliche Entwick­lung neg­a­tiv wahr. Wie blick­en Sie in die Zukunft?

Ich bin überzeugt, dass aus all dem etwas Schönes entste­hen wird. Die mate­ri­al­is­tis­che Wis­senschaft geht von der Vorstel­lung aus, dass die Welt aus materiellen Teilchen beste­ht. Doch genau diese Wis­senschaft hat gezeigt, dass Materie eine Form von Bewusst­sein ist. Dass es keine Gewis­sheit gibt und dass der men­schliche Ver­stand die Welt nicht erfassen kann. Der dänis­che Physik­er und Nobel­preisträger Niels Bohr zum Beispiel argu­men­tierte, dass sich Ele­men­tarteilchen und Atome radikal irra­tional und unl­o­gisch ver­hal­ten. Sein­er Mei­n­ung nach kon­nten sie durch Poe­sie bess­er ver­standen wer­den als durch Logik.

Auf Lan­desebene wer­den wir etwas Ähn­lich­es erleben. In naher Zukun­ft wer­den wir den vielle­icht his­torisch weitre­ichend­sten Ver­such erleben, alles auf tech­nol­o­gis­che, ratio­nale Weise zu kon­trol­lieren. Irgend­wann wird sich dieses Sys­tem als nicht funk­tion­ierend erweisen und zeigen, dass wir eine völ­lig andere Gesellschaft und Poli­tik brauchen. Das neue Sys­tem wird sich mehr auf den Respekt vor dem, was sich dem men­schlichen Ver­stand let­ztlich entzieht, und auf den Respekt vor der Kun­st und Intu­ition stützen, die für die Reli­gio­nen zen­tral waren.

Befind­en wir uns heute in einem Paradigmenwechsel?

Zweifel­sohne. Diese Krise kündigt das Ende eines kul­turhis­torischen Par­a­dig­mas an. In den Wis­senschaften ist der Über­gang zum Teil schon vol­l­zo­gen. Schon die Genies, die die Grund­la­gen der mod­er­nen Physik, der The­o­rie kom­plex­er und dynamis­ch­er Sys­teme, der Chaos­the­o­rie und der nich­teuk­lidis­chen Geome­trie gelegt haben, ver­standen, dass es nicht eine, son­dern viele ver­schiedene Logiken gibt. Dass allem etwas Sub­jek­tives innewohnt und dass der Men­sch in direk­ter Res­o­nanz mit der ihn umgeben­den Welt und der ganzen Kom­plex­ität der Natur lebt. Außer­dem ist der Men­sch ein Wesen, das in sein­er ener­getis­chen Exis­tenz auf seine Mit­men­schen angewiesen ist. Wir erleben jet­zt ein let­ztes Auf­bäu­men der alten, auf Kon­trolle und logis­chem Ver­stand basieren­den Kul­tur, die in ras­an­tem Tem­po zeigen wird, was für ein gewaltiger Fehlschlag sie ist und wie unfähig sie ist, eine Gesellschaft wirk­lich anständig und men­schlich zu organisieren.


1 Zwar kann man in Großbri­tan­nien nicht mehr von ein­er Ver­schär­fung der Maß­nah­men sprechen; den­noch liegt Desmet richtig damit, dass die Imp­fung keine Lösung dieser Krise brin­gen wird. Dies kann man aktuell ganz gut in Großbri­tan­nien ver­fol­gen, wo die Impfkam­pagne weit fort­geschrit­ten ist. Die Regierung kommt nicht um Lockerun­gen herum. Allerd­ings kann man kaum von ein­er Nor­mal­isierung der alltäglichen Beziehun­gen reden, wenn man eine Stel­lenauss­chrei­bung des Depart­ment of Health vom April für eine lei­t­ende Posi­tion anschaut: wichtig­ste Anforderung ist „die Entwick­lung ein­er Kom­mu­nika­tion­sstrate­gie, die die Ausweitung der Tests von asymp­to­ma­tis­chen Per­so­n­en unter­stützt und Testen als Teil des All­t­agslebens nor­mal­isieren soll“.

Am 14. April 2021 sagte Boris John­son in einem Inter­view auf Sky: „Die Zahlen sind unten … Aber es ist sehr, sehr wichtig, dass jed­er ver­ste­ht, dass der Rück­gang bei Hos­pi­tal­isierun­gen, Ster­be­fällen und Infek­tio­nen nicht durch die Impfkam­pagne erre­icht wurde. Ich denke, die Men­schen wis­sen nicht zu schätzen, dass der Lock­down von über­ra­gen­der Bedeu­tung für diese Verbesserung der pan­demis­chen Lage und die Zahlen, die wir nun sehen, war.“ Nach­dem die Imp­fung zuvor wie auch bei uns zum einzi­gen Ausweg erk­lärt wurde, ist das eine erstaunliche Wen­dung: soll damit nur das eigene Vorge­hen nachträglich legit­imiert wer­den oder ist das ein Blick in eine Zukun­ft, in der uns mit Ver­weis auf „neue Vari­anten“ nicht nur erneute Imp­fun­gen, son­dern fort­dauernde Zwangs­maß­nah­men ange­dro­ht werden? 

Und die Lösung ein­er Krise im genan­nten Sinne bemisst sich ja nicht alleine durch Rück­nahme von Regierungs­maß­nah­men, son­dern auch in den Ideen im gesellschaftlichen und wis­senschaftlichen Diskurs: Anfang April forderte eine Gruppe von Wis­senschaftlern in The Con­ver­sa­tion : „Neue Covid-Vari­anten haben die Lage verän­dert, und Impf­stoffe wer­den nicht genug sein. Wir brauchen eine Strate­gie der glob­alen „max­i­malen Unter­drück­ung“ … dop­pelte Masken, … Verhaltens‑, Umwelt‑, Sozial- und Sys­tem­inter­ven­tio­nen, … soziale Dis­tanzierung …“ [Anmerkung des Über­set­zers].

2 Kommentare

  1. Armin Merckelbach

    Danke, wun­der­bar; der Aus­blick von Pro­fes­sor Desmet ist natür­lich erfreulich, aber wie lang wird denn die total­itäre Phase dauern? Denn davor habe ich auch Angst. Als (ehe­ma­liger) Wis­senschaftler finde es extrem ent­täuschend, daß nur so wenige aktive Wis­senschs­ftler sich gegen diese Hys­terie wen­den, aber auch, daß die weni­gen in den Main-Stream-Medi­en so wenig Gehör finden.
    Im Augen­blick sehe ich eine Abhil­fe allerd­ings auch nur in der Durch­führung geeigneter Stu­di­en: Wie ist der Zusam­men­hang zwis­chen pos­i­tivem Test und der Erkrankung? Inwieweit kön­nen Sym­tom­lose den Virus weit­ergeben und andere anzusteck­en? (Dazu gibt es bere­its eine große Studie aus Wuhan .*) Wer ver­stirbt wirk­lich „an” Coro­na? Wenn diese Fra­gen genauer gek­lärt wür­den, wür­den sich die täglich gemelde­ten Zahlen mas­siv ver­ringern – das lassen vor­läu­fige Unter­suchun­gen erwarten (die chi­ne­sis­che Studie kann man natür­lich nicht als vor­läu­fig beze­ich­nen). Und wenn die Zahlen nicht mehr so bedrohlich wirken und sich mehr Wider­spruch artikuliert, lassen sich auch total­itäre Maß­nah­men nur schw­er beschließen und durch­set­zen. .…Ich will nicht den Rest meines Lebens in ein­er Coro­na-Dik­tatur leben!
    * Cao et al. 2020: https://doi.org/10.1038/s41467-020–19802‑w

  2. Valentina Zweifel

    Wis­senschaft hat, als das Kap­i­tal noch Motor der Entwick­lung der Pro­duk­tivkräfte war, die wichtig­ste Rolle bei dieser gespielt. Es sollte aber nicht vergessen wer­den, dass es immer schon auch eine Entwick­lung der Destruk­tivkräfte gab. Vor 150 Jahren began­nen let­ztere sich stärk­er zu entwick­eln als die Pro­duk­tivkräfte. Heute sehen wir einem Prozeß des Ver­schwindens des Kap­i­tals und dem Set­zen von Wis­senschaft als Staaten­lenker (Erden­lenker) zu. Wis­senschaft dient nun nicht länger dem Gesam­tun­ter­drück­er, sie wird immer mehr zu diesem. Ein­her geht damit die Ver­wand­lung des dop­pelt freien Lohnar­beit­ers in einen Gnaden­brotempfänger. Die Men­schen ahnen, dass es so ist bei jedem Blick auf´ s Smart­phone, dem per­fidesten Geschenk der Wis­senschaft, bevor diese ihnen ein Virus schenk­te. Nur bei­de Geschenke zusam­men erschaf­fen eine gesellschaftliche Total­ität, der es darum geht, die Angst der Men­schen vor dem Tod zu benutzen, sie jeden Gedanken ans Leben vergessen zu lassen. Jed­er Blick auf´ s Smart­phone ist ein tödlich­er, wenn das Gese­hene kom­men­tiert wird mit einem infan­tilen Zeichen, Dau­men hoch, runter, Smi­ley. Freudig ver­lieren die Men­schen ihre Sprache! Jed­er Test auf´ s Virus gilt eben­so als Zeichen des Ein­ver­ständ­niss­es, dass man mit dem Leben abgeschlossen hat um in schön­er Dialek­tik den Tod zu fürcht­en, wie es wohl bish­er noch nie Men­schen taten.
    Mit­glied dieser infan­tilen Com­mu­ni­ty zu sein, ist heute die Voraus­set­zung, einen Job, also ein besseres Gnaden­brot zu erhal­ten. Wer das will, wem das reicht, der ist nicht mehr zu ret­ten, der muss zuse­hen, wie er mit seinen Psy­chomack­en klar kommt.
    Für die Jugendlichen, die seit einem Jahr max­i­mal vom Staat gefickt wer­den, gibt es nur eine wirk­same Ther­a­pie, nicht neu, aber immer noch richtig, was Ton Steine Scher­ben san­gen: Macht kaputt was euch kaputt macht!

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