von I.S.
Ich bin Krankenschwester und arbeite seit 5 Jahren in einer psychiatrischen Klinik auf einer Station für Abhängigkeitserkrankungen. Unsere Station wurde im Frühjahr 2020 zur sogenannten „Pandemie-Station“ umgewandelt. Das heißt, zu uns kommen corona-positiv-getestete psychiatrisch Erkrankte und solche mit unklarem Covid-Status. Letztere werden PCR-getestet und bei negativem Ergebnis auf andere Stationen im Haus verlegt. Unsere Station ist geschlossen, das heißt, die Patienten können nicht einfach hinein und hinaus wie sie möchten. Wir bekommen akut Erkrankte, die dann manchmal nicht orientiert sind (nicht wissen was los ist), aggressiv, nicht absprachefähig, oder auch Demente. Wir hatten bis zum Herbst keinen einzigen coronapositiven Patienten. Dann hin und wieder, ein bis maximal vier Patienten. Unsere Klinik begann Ende des Jahres, coronapositive Patienten von anderen Kliniken zu übernehmen, was an der Belegungszahl allerdings nichts änderte. Die allermeisten ohne Symptome. Oft bestand nicht einmal ein wirkliches psychiatrisches Anliegen. Eine Patientin zum Beispiel mit diagnostizierter beginnender Demenz, noch sehr gut beieinander, die hätte auch ohne Weiteres nach Hause gekonnt. Ich hatte und habe den Eindruck, die Klinik braucht Corona-Patienten. Unser Labor erfasst seit Ende letzten Jahres auch den ct-Wert zum PCR-Test. Ab einem ct-Wert von 30 aufwärts kann man ja eigentlich kaum mehr von „positiv“ reden. Einige Zeit lang gab es keine Patienten mit mehr als 35, jetzt gilt ein Patient mit einem ct-Wert von 38 noch als schwach positiv.
Was ich allgemein sehr kritisch sehe, ist dass unsere Suchterkrankten nicht mehr oder nur noch vereinzelt kommen. Wir hatten 20–24 Betten für Alkohol‑, Medikamenten- und Drogenabhängige, jetzt gibt es noch 6–8 auf einer anderen Station, die nicht daraufhin ausgerichtet ist.
Was ich im Besonderen kritisch sehe, ist der Umgang mit den Patienten hier bei uns, der sich teils im Grenzbereich zur Menschenrechtsverletzung bewegt.
Beispiele:
- eine psychotische Patientin, die zu Hause ihre Medikamente nicht genommen hatte und das auch weiterhin nicht wollte, kam mit Halluzinationen, Wahngedanken und Unruhe zu uns. Sie weigerte sich, einen PCR-Test vornehmen zu lassen, eine Maske zu tragen und in ihrem Zimmer zu bleiben. Meine Kollegen waren dafür, sie fixieren zu lassen, da sie das Personal gefährde, falls sie coronapositiv sei. Wir tragen FFP2-Masken übrigens. Ich habe mich immer dagegen ausgesprochen, freiheitsentziehende Maßnahmen in so einem Fall anzuwenden, und die Ärzte schienen meiner Meinung zu sein. Aber als ich frei hatte, hat die Patientin wohl einmal das Bad unter Wasser gesetzt und auch den Trinkwasserautomaten beschädigt, wurde daraufhin fixiert, zwangsmediziert und ihr wurde gewaltsam ein Corona-Abstrich entnommen. Meine Kollegen hatten den Begriff „Fremdgefährdung“ (Begründung einer Fixierung) auf die Corona-Ansteckungsgefahr ausgedehnt. Die Patientin hatte übrigens kein Corona.
- Wir hatten über 4 Wochen einen dementen älteren Herren, dem in seinem Altersheim gekündigt worden war, weil er aggressiv geworden war, und der im dortigen Krankenhaus positiv getestet wurde. Daraufhin wurde er zu uns verlegt. Er hatte nie Covid-Symptome. Wir testeten ihn aller paar Tage, aber der Test war immer positiv, wenn auch mit einem ct-Wert von knapp 35. Er durfte das Zimmer nicht verlassen, was er aufgrund seiner Demenz nicht verstand. Aggressiv war er bei uns kaum. Das Zimmer hatte ca. 10qm und ein Bad. Wir gingen hinein, um Blutdruck und Blutzucker zu messen und das Essen zu bringen, und fünfmal die Woche war die Visite kurz bei ihm. Er saß den ganzen Tag am Fenster und schaute hinaus. Wegen seiner Demenz war es kaum möglich, ihm eine Beschäftigung anzubieten, die er allein ausführen konnte (z.B. Lesen). Die Ergotherapeutin durfte nicht zu ihm, auch nicht mit Schutzkleidung. Wir sind manchmal mit ihm ins Kliniksgelände spazieren gegangen, Pfleger und Patient mit Schutzkleidung, dann durfte er auch das nicht mehr. Neue Auflage der Hygienebeauftragten. Er bekam einen neuen Pflegeheimplatz, aber die wolten ihn erst, wenn er zweimal negativ getestet wurde. Er saß also den ganzen Tag im Zimmer, viermal täglich kam jemand für fünf Minuten ins Zimmer, mit Kittel, Haube, Schutzbrille, Handschuhen und Maske bekleidet. Der Mann schaute stundenlang aus dem Fenster. Gleich nach dem Abendbrot legte er sich schlafen. Besuch ist verboten. Das Fenster darf nicht geöffnet, nur angekippt werden, da ja möglicherweise ein akut psychisch Kranker mit suizidalen Absichten in sein Zimmer kommen und sich aus dem Fenster (1. Etage) stürzen könnte… Freiheitsberaubung ohne triftigen Grund, Einzelhaft, und das über 4 Wochen.
- Seit mehreren Wochen haben wir zwei ältere demente Damen, die auch immer wieder positiv getestet werden, beide über 80, die eine hatte eine Covid-Pneumonie, hat sich davon aber gut erholt. Die beiden sind wenigstens zu zweit im Zimmer, dürfen aber auch nicht hinaus. Ihre Tests sind abwechselnd negativ, dann wieder positiv. Ct-Werte von über 35. Keine Symptome. Trotzdem eingesperrt, wochenlang. Die Heime nehmen sie erst nach 3. Mal negativ.
Meine Kollegen sind sehr „corona-hörig“. Bis auf 4 von uns haben sich alle zeitnah impfen lassen. Trotzdem tragen sie stets FFP2-Masken, die wir nur zum Essen herunterklappen dürfen. Von aushelfenden Kollegen aus nicht-psychiatrischen Stationen erfuhr ich, dass die Klinik jeden Patienten mit positivem PCR-Test als Corona-Patienten zählt, auch wenn keine Symptome vorhanden sind und er z.B. nur zur Augen-OP o.ä. aufgenommen wurde.
Zur Zeit haben wir also die beiden coronapositiven Seniorinnen, und zwei junge Frauen mit anderen psychiatrischen Diagnosen, die auf ihr Testergebnis warten. Auf einer 20-Betten-Station für Suchtkranke, die sich jetzt woanders nach einem Therapieplatz umsehen müssen. Aber mein Hauptkritikpunkt ist dass Menschen ohne Schuld, Vergehen, wie auch immer, und ohne Möglichkeit es zu verstehen auf unbestimmte Zeit ihrer Freiheit beraubt werden. Sie bekommen übrigens auch keine Therapie, außer vielleicht Tabletten.
Ich denke jeden Tag darüber nach zu kündigen.
I.S.
„coronahörig”, ein fast zu milder begriff für das, was hier von bediensteten in erzwungener lohnarbeit an menschen- und grundrechtsverletzungen tagtäglich ausgeführt werden muss.
eine kündigung setzt die eigene existenz aufs spiel und ist nicht, wie oft behauptet wird, ein akt heldenhafter verweigerung. arbeit ist eben nicht nur einkommen und damit, in unserem wirtschaftssystem unersetzlich für gesellschaftlichen status/anerkennung und kulturelle teilhabe sondern für viele darüberhinaus auch sinnerfüllung.
hier bräuchte es alternativen und unterstützung, ein netzwerk, das einen ausstieg aus diesem menschenverachtenden system möglich machen und gleichzeitig bessere strukturen aufbauen würde.
doch dafür braucht es v.a.d. geld, visionen und know how.
gute ideen, z.b. selbstorganisierte gesellschaften, genossenschaften, betriebe und banken dafür gab es schon vor corona.
das solidarische prinzip der gegenseitigen hilfe könnte hier grundlegend werden. woran es mangelt, sind mutige menschen mit besitz und innovationsgeist, die nicht nur dollarzeichen in den augen haben, sondern bereit sind, ihr hab und gut zu „vergemeinschaften” und damit eine andere welt mitzugestalten.
ich würde das tun, bevor ich das, wofür ich zeit meines lebens gearbeitet habe, den heuschrecken überlasse.
und die sind schon, mit verweis auf norbert häring, auf dem weg.
https://norberthaering.de/die-regenten-der-welt/italien-draghi/
vielleicht würde es ja sinn machen, bei widerständigen unternehmen (auch bei den beschäftigten) werbung für diese idee zu machen?
https://norberthaering.de/news/corona-aufstand/
??????
unsere gesellschaft, unsere welt braucht ganz dringend einen strukturwandel. diesen möchte ich nicht den psychopathen und great resettern überlassen.