Eine Inter­natss­chü­lerin berichtet, wie mit Schnell­tests und Maskenpflicht an Schulen ein ver­häng­nisvoller sozialer Druck aus­geübt wird.

von Henriette Kabisch

Die Schule: ein Ort der Begeg­nung, des freien Aus­tauschs, der sozialen Gemein­schaft, des Ler­nens fürs Leben — so weit die The­o­rie. Die Real­ität sieht in Deutsch­land aber ganz anders aus. Für viele junge Men­schen ist die Schule vor allem ein Ort des Leis­tungs­drucks, der Abw­er­tung, der ersten Aus­gren­zungser­fahrung, des Mob­bings. Laut ein­er DAK-Studie lei­det jed­er dritte Schüler an depres­siv­en Stim­mungen (1). Diese Ten­denz hat sich ver­schärft, seit auch die Schulen zum Schau­platz der Coro­na-Repres­sio­nen gewor­den sind: Plöt­zlich kom­men zu den ver­härteten Hier­ar­chie- Struk­turen unter Schülern und Lehrern auch noch die „Anti-Coro­na-Maß­nah­men“ hinzu — und mit ihnen eine mächtige Welle sozialen Drucks. Anstatt beruhi­gend und aufk­lärend zu wirken, fördern viele Schulen ein unge­sun­des Schwarz-Weiß-Denken, das jedes Hin­ter­fra­gen als Gefährdung brand­markt und den kri­tis­chen Diskurs im Keim erstickt. Wie umfassend diese Aus­gren­zung sein kann, erzählt eine Inter­natss­chü­lerin aus eigen­er Erfahrung.

Das Wort „Coro­na“ löst in uns allen etwas aus. Angst, Verzwei­flung oder Panik scheinen seit einem Jahr die Men­schen im Griff zu haben — mich eingeschlossen. Aber nicht, weil ich Panik vor dem Virus habe, nein, ich habe Angst vor der gesellschaftlichen Spal­tung und dem teils sehr extremen Vorge­hen gegenüber Regierungskri­tik­ern. Es scheint, als würde sich die Welt immer schneller drehen. Wir blick­en mit Ungewis­sheit in die Zukun­ft und nie­mand kann einem ver­sich­ern, was in ein paar Tagen sein wird, geschweige denn in einem hal­ben Jahr. Diese Unsicher­heit und Über­forderung spiegelt sich immer mehr in unser­er Gesellschaft wider.

Im Laufe des ver­gan­genen Jahres bin ich immer kri­tis­ch­er gewor­den. Meine Mitschüler wür­den mich wahrschein­lich mit­tler­weile als igno­rante „Coro­na-Leugner­in“ betiteln.

Wed­er trage ich eine Maske noch lasse ich mich dreimal pro Woche in der Schule testen.

Ganz klar­er Fall also: Ich set­ze die Gesund­heit mein­er gesamten Schule aufs Spiel. So ist zumin­d­est die Denke viel­er Leute.

Schon im Som­mer hat es ange­fan­gen. Obwohl sich viele Jugendliche nicht wirk­lich an die Kon­tak­tbeschränkun­gen hiel­ten, wurde jed­er schief angeschaut, der sich kri­tisch äußerte. Damals noch sehr bedacht darauf, was ich sage und denke, gab es nur kleinere Diskus­sio­nen über die Maß­nah­men. Augen­schein­lich war ich ja noch auf der „richti­gen“ Seite, weil ich mich größ­ten­teils an die Spiel­regeln hielt. Mein Fre­und allerd­ings nicht: Von Anfang an ist er auf Demos gegan­gen und hat sich gegen die über­zo­ge­nen Maß­nah­men der Regierung einge­set­zt. Mit dem The­ma hat­te ich nicht viel zu tun, trotz­dem wurde mir von Mitschülern vorge­wor­fen, ich müsse diese Hygiene-Demos gutheißen, da ich ja schließlich mit meinem Fre­und zusam­men­bleibe, obwohl er dort hinge­ht. Ganz schön sur­re­al, oder?

Über die Monate hat sich die ganze Sit­u­a­tion zuge­spitzt. Doch ich denke, der auss­chlaggebende Zeit­punkt war, als ich ein Attest bekam, um im Unter­richt keine Maske tra­gen zu müssen. Ich wurde abgestem­pelt und mir wurde pures Unver­ständ­nis ent­ge­genge­bracht, nur weil ich kein Stückchen Kun­st­stoff mehr vor dem Mund trug und so aus der Masse herausstach.

Ich war immer ein Men­sch mit vie­len Fre­un­den, doch ger­ade jet­zt merk­te ich, wie viele auf mich her­ab­schaut­en und sich als etwas Besseres sahen.

 

Das Misstrauen wächst

Doch wie extrem die Sit­u­a­tion tat­säch­lich ist, bemerk­te ich erst in den ver­gan­genen Wochen. Kurz nach Wei­h­nacht­en wurde ein Mitschüler pos­i­tiv auf Covid-19 getestet und wir soll­ten alle in Quar­an­täne auf unsere Zim­mer, da wir eine Inter­natss­chule sind und viele Schüler weit weg wohnen. Ich habe die 11. Klasse wieder­holt, weswe­gen der Großteil mein­er Fre­unde schon ihr Abi gemacht hat, doch zum Glück hat­te ich ja meine beste Fre­undin in meinem neuen Jahrgang — wie ich dachte.

Durch die fehlen­den Fre­und­schaften und die schlechte Dynamik in meinem neuen Jahrgang kon­nte ich mich dort nie wirk­lich ein­leben und war froh, wenn ich am Woch­enende nach Hause zu mein­er Fam­i­lie kon­nte. Und jet­zt sollte ich alleine auf meinem Einzelz­im­mer bleiben, ohne einen Men­schen zu sehen? Das war für mich unvorstell­bar. Also redete ich mit mein­er besten Fre­undin. Sie kon­nte dafür jedoch gar kein Ver­ständ­nis auf­brin­gen kon­nte und ver­sicherte sich vor mein­er Heim­reise noch ein­mal bei mir, dass ich auch ja die Quar­an­täne einhalte.

Nach den Win­ter­fe­rien also ging es für uns weit­er mit Präsen­zun­ter­richt und dem Ange­bot eines Schnell­tests jeden Son­ntagabend zur Anreise. Damit beg­ing ich den zweit­en „Fehler“: Dieses Ange­bot nahm ich nicht wahr, da ich der Mei­n­ung bin, dass ich mich nicht testen lassen muss, wenn ich kernge­sund bin. Ich wurde von vie­len Mietschülern arg­wöh­nisch betra­chtet und spürte ihre Ablehnung, obwohl sie dies mir gegenüber nie laut aussprachen. Das störte mich nicht weit­er, ich hat­te ja schließlich noch meine beste Fre­undin, bei der ich mir sich­er war, dass sie immer zu mir hal­ten würde, egal wie unter­schiedlich unsere Mei­n­un­gen auch sein mögen.

Wir hat­ten schon öfter über das The­ma disku­tiert; das endete vor eini­gen Wochen in einem Stre­it. Doch wir kon­nten uns immer wieder ver­tra­gen und so genau nahm sie es mit den Abstand­sregeln nun auch nicht. Vorige Woche saßen wir ja schließlich noch zu sechst eng zusam­men in einem Zim­mer. Allerd­ings kam ihre Dop­pel­moral immer öfter zum Vorschein: So beachtete sie die Regeln zwar selb­st nicht immer zu 100 Prozent, regte sich aber im Gegen­zug über eine Lehrerin auf, die sich nicht — im Gegen­satz zum Großteil der Lehrerschaft — mit AstraZeneca hat impfen lassen.

 

Kein Test? Keine Rechte!

Doch der Knall kam am Sam­stag. Seit dieser Woche gibt es ein frei­williges Ange­bot, sich per Spuck­test dreimal pro Woche testen zu lassen. Wie vorher schon erwäh­nt, halte ich nicht viel von Tests für asymp­to­ma­tis­che Per­so­n­en, und meine Ansicht war nun mit­tler­weile dem ganzen Jahrgang bekannt.

Ich bekam also von mein­er eigentlich besten Fre­undin eine Sprach­nachricht: „Ich wollte dir nur Bescheid geben, falls du mor­gen nicht den Coro­na-Test machst, werde ich jet­zt die näch­sten zwei Wochen nicht mit dir zum Früh­stück gehen beziehungsweise nichts mit dir machen …“

Wow! Das hat mich ganz schön getrof­fen. Ich habe ja son­st nie­man­den in der Schule. Die Diskus­sion ging immer hin und her, bis ich irgend­wann nicht mehr geant­wortet habe, weil ich ein­er­seits so ver­let­zt und ent­täuscht von ihrem Ver­hal­ten war, ander­er­seits diese Diskus­sion sowieso ins Leere geführt hätte.

Kurz gesagt: Ich wurde als „Super­spread­er“ dargestellt, weil ich ja keine Maske trage und mich nicht testen lasse. Für mich war es jedoch am schlimm­sten, als sie mir schrieb, sie hätte kom­plett den Respekt vor mir ver­loren, weil ich „die Gesund­heit ander­er nicht respek­tieren würde“.

Es tut immer noch weh, wenn ich darüber nach­denke. Ich habe ver­sucht, ihr Ver­ständ­nis ent­ge­gen­zubrin­gen, zu akzep­tieren, dass sie Angst hat und vor allem, dass sie eine andere Mei­n­ung hat als ich. Aber so viel Unver­ständ­nis im Gegen­zug zu bekom­men, macht mich fertig.

Am Son­ntagabend bin ich also mit einem mul­mi­gen Gefühl wieder zurück ins Inter­nat gefahren. Zum Früh­stück am näch­sten Mor­gen bin ich nicht gegan­gen und in der ersten Stunde haben wir uns ignori­ert. Mir hat es schon den ganzen Vor­mit­tag vor dem Mit­tagessen gegraut. Durch die Hygien­e­maß­nah­men gibt es nur noch Zweier­tis­che im Speis­esaal und eigentlich gin­gen wir immer zusam­men zum Essen, um gemein­sam am Tisch zu sitzen. Doch das wollte sie ja nicht mehr. Also saß ich alleine, hab meine gefüllte Papri­ka run­tergeschlun­gen und bin nach fünf Minuten wieder gegan­gen, da sich nie­mand zu mir set­zen wollte. Ich kam mir mut­tersee­le­nallein vor, als hätte sich der ganze Jahrgang gegen mich verschworen.

Am näch­sten Tag kam eine Mitschü­lerin zu mir, um mit mir zu reden. Sie fragte mich, ob ich mich denn nicht doch testen lassen wolle — an dem Tag fan­den wieder Tests statt —, damit ich meine Ruhe hätte, weil einige Mitschüler über­legten, dass sie Nicht-Getestete nicht mehr in den Clu­braum — eine Art Aufen­thalt­sraum im Inter­nat — lassen möchten.

 Ich füh­le mich wie eine Außen­sei­t­erin, weil ich nicht mehr in die kleine per­fek­te Blase hinein­passe. Ich füh­le mich, als hätte ich etwas Falsches getan, etwas Bös­es, obwohl ich nur mir selb­st treu geblieben bin und nach meinen Vorstel­lun­gen und Ansicht­en gehan­delt habe.

Die ganze Sit­u­a­tion macht mich trau­rig. Als „sol­i­darisch“ gilt nur noch, wer sich testen lässt, sich impfen lässt und Maske trägt, der Rest wird aus­gestoßen — nicht nur aus poli­tis­chen Diskus­sio­nen, son­dern auch aus der Gesellschaft. Die „Unsol­i­darischen“ wer­den wie Aussätzige behan­delt. Die eine Gruppe stellt sich über die andere, und wer sich mit der maß­nah­menkri­tis­chen Seite sol­i­darisiert, wird direkt abgestempelt.

Ich ver­misse die Demokratie, in der jede Mei­n­ung gehört und ernst genom­men wird. Ich ver­misse es, mich frei ent­fal­ten zu kön­nen, ohne Angst vor der Reak­tion ander­er haben zu müssen, und vor allem ver­misse ich die Men­schen, die ein­mal meine Fre­unde waren.

 

Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.dak.de/dak/bundesthemen/depressive-schueler-2127760.html#/

Hen­ri­ette Kabisch, Jahrgang 2001, besucht derzeit ein Inter­nats­gym­na­si­um. Ein drei­monatiger Aus­land­saufen­thalt in Argen­tinien prägte ihr Denken und Han­deln nach­haltig; sei­ther inter­essiert sie sich auch für außereu­ropäis­che Poli­tik und Kul­tur. Seit eini­gen Jahren beschäftigt sie sich zudem einge­hend mit philosophis­chen Fra­gen und engagiert sich poli­tisch. Ihr größtes Hob­by ist der Sport, ins­beson­dere das Laufen. Nach dem Abitur möchte sie Sportwissenschaften studieren und so ihr Hob­by zum Beruf machen.

Der Artikel erschien zuerst am 24. März 2021 auf Rubikon unter: https://www.rubikon.news/artikel/die-aussenseiter

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